Die unsterbliche Braut
fast tragbar fand – hätte sich eine Gelegenheit dazu geboten. „Verrat’s nicht Henry.“
„Keine Angst.“ Ich ließ mich vor der Schuh-Wand auf die Knie sinken und sah mir das nächstbeste Paar genauer an. 37,5 – genau meine Größe. „Wenn ich dir was erzähle, versprichst du, es niemandem sonst zu sagen?“
Eine Sekunde später war sie an meiner Seite, und die Gier nach Klatsch, die in ihren Augen stand, brachte mich fast dazu, es mir noch einmal zu überlegen. Aber sonst hätte ich nur mit meiner Mutter und James reden können. Meiner Mutter gegenüber war mir diese Sache zu peinlich, und James – na ja, er war quasi das Problem.
„Natürlich“, flüsterte sie verschwörerisch. „Du weißt, dass du mir alles sagen kannst, ich verrat’s keiner Menschenseele.“
Ich wollte ihr glauben, doch da war immer noch die Erinnerung an das Mädchen aus Eden, das mich mit einem Trickdazu gebracht hatte, auf Henrys Besitz einzudringen – nur um dann zu versuchen, mich dort allein zurückzulassen. Die Sache war nach hinten losgegangen: Ava war gestorben, und Henry hatte angeboten, sie zu heilen, wenn ich sechs Monate eines jeden Jahres bei ihm bleiben würde. Seitdem war sie jedoch zu meiner besten Freundin geworden, und das konnte ich nicht einfach ignorieren.
„Es ist wegen James“, setzte ich an und hielt den Blick auf die Sandalette in meiner Hand gesenkt. Diese Schuhe würden perfekt zu dem silbernen Kleid passen. „Er hat gesagt, ich hätte eine Wahl. Dass ich nicht hier herunterkommen müsste, wenn ich nicht wollte.“ Ich bremste mich, bevor ich zu dem Teil kam, wo er mir angeboten hatte, mit mir gemeinsam fortzugehen. „Ich glaub, er ist eifersüchtig auf Henry.“
Statt mich auszulachen, setzte sich Ava neben mir auf den Fußboden. „Das kann durchaus sein. Keiner von uns war glücklich mit dem Gedanken, Henry könnte vergehen, aber wenigstens James hätte was davon gehabt.“
Ich schüttelte den Kopf. „Ich meine, nicht eifersüchtig auf die Herrschaft über die Unterwelt. Ich meine … eifersüchtig, dass er mich hat.“
„Oh.“ Avas Augen weiteten sich. „ Oh . Du glaubst, James …“
Ich zuckte mit den Schultern. „Sieht irgendwie danach aus, oder? Wir haben den gesamten Sommer zusammen verbracht. Er war so glücklich und entspannt, solange wir in Griechenland waren. Aber jetzt, wo wir wieder hier sind, ist er plötzlich total launisch und eigen und will nicht mehr in meiner Nähe sein. Und ich glaube, es ist wegen Henry.“
„Weil Henry dich hat und er nicht.“ Nachdenklich tippte Ava sich mit einem Finger an die Wange. „Du weißt, wer ich bin, oder?“
Ich warf ihr einen misstrauischen Blick zu. War das eine Fangfrage? „Klar. Du bist Ava.“
„Und die Göttin von was?“, hakte sie nach und warf sich das blonde Haar über die Schulter.
Niemand hatte es mir je gesagt, aber von den vierzehn Ratsmitgliedern war Ava bei Weitem diejenige, die am leichtesten ihrem olympischen Gegenstück zuzuordnen war. Nach Henry natürlich. „Die Göttin der Liebe.“
Sie strahlte. „Sehr gut, obwohl du Schönheit und Sex vergessen hast.“
Ja, sie war definitiv Aphrodite. „Worauf willst du hinaus?“ Die meiste Zeit schaffte ich es, zu vergessen, wie umwerfend Ava war. Doch wenn es mir wieder einfiel, war es schwer, sich neben ihr nicht wie ein hässliches Entlein vorzukommen.
„Ich will darauf hinaus, dass ich bestimmte Gaben habe, und ich kann sehen, dass James dich liebt. Aber wir alle lieben dich, Kate. Du gehörst jetzt zur Familie.“
„Was für eine Art Liebe ist es? Bei James, meine ich.“
Sie stieß einen dramatischen Seufzer aus und tätschelte mir das Knie. „Dir das zu sagen wäre eine unverzeihliche Einmischung in James’ Privatsphäre, und ich muss bis auf absehbare Zeit mit ihm zurechtkommen.“
Daraufhin verdrehte ich nur die Augen. „Seit wann scherst du dich denn um die Privatsphäre anderer Leute?“
„Seit Henry vor zehn Sekunden aufgetaucht ist.“
Hektisch rappelte ich mich auf. Mit Schmetterlingen im Bauch stürmte ich aus dem begehbaren Kleiderschrank, blieb jedoch sofort stehen, als ich Henry auf dem Bett sitzen sah, die Hände gefaltet und das Gesicht versteinert. Er sah blass und erschöpft aus, und ich glaubte ein leichtes Zittern an seinen Händen zu entdecken, doch das war es nicht, was meine Aufmerksamkeit fesselte.
An seinem Hals verlief eine tiefe Wunde und verschwand im Kragen, aber noch auffälliger war das verschmierte Blut
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