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Die unsterbliche Braut

Die unsterbliche Braut

Titel: Die unsterbliche Braut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aimée Carter
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hatte eine Vision, schätze ich. Keine Ahnung, wie ich es sonst nennen soll. Als James mich hier runtergebracht hat, hab ich auf einmal dich und Walter und Phillip gesehen, wie ihr mit … irgendwas gekämpft habt. Ich weiß nicht, was es war, aber ihr habt vor diesem Tor gestanden, und hinter euch ist Calliope aufgetaucht. Sie hat zu euch gesagt, es sei zwecklos, weil er schon wach sei.“
    Die Stille, die nun eintrat, schien ewig anzuhalten. Erst als ich wieder nach dem Waschlappen griff, antwortete Henry, und als er es tat, klang seine Stimme gespenstisch gelassen.
    „Das ist also deine Gabe. Ich hatte mich schon gefragt, was es sein würde.“
    „Gabe?“ Meine Mutter hatte es genauso genannt, mir aber nicht weiter erklärt.
    „Deine Unsterblichkeit geht mit gewissen Fähigkeiten einher“, erklärte Henry. „Diese Gaben sind von Person zu Person unterschiedlich, haben aber oft mit dem zu tun, was wir repräsentieren. So sind zum Beispiel seine Fähigkeiten als Heiler nicht Theos einziges Talent. Als Gott der Musik und Poesie trifft er außerdem immer den richtigen Ton.“
    Jetzt versuchte er mich zum Lachen zu bringen. Das musste ein gutes Zeichen sein. Ich brachte ein kleines Lächeln zustande, während ein Teil meiner Furcht von mir abfiel. „Ich bin mir sicher, das ist bestimmt unheimlich praktisch.“
    „Es macht die musikalische Unterhaltung bei Familientreffen auf jeden Fall erträglicher.“
    Ein weiterer Moment des Schweigens verging. Das musste James gemeint haben, als er davon gesprochen hatte, sich niemals zu verirren. Die Fähigkeit meiner Mutter, selbst aus dem verödetsten Stück Land noch Leben hervorzulocken, Henrys Gabe, große Entfernungen in Sekundenschnelle zurückzulegen – wie sollte er sonst auch die Unterwelt durchqueren?
    „Warum kann ich Dinge sehen, die an einem anderen Ort passieren?“, fragte ich. „Wozu ist das gut? Soll mir das helfen, bei der Entscheidung über das Schicksal von jemandem die richtige Wahl zu treffen?“
    „Ja, und es wird auch in anderer Hinsicht nützlich sein. Nach deiner Krönung wirst du noch weitere Kräfte entwickeln“, fuhr er fort. „Ich werde dir helfen, so gut ich kann, und mit der Zeit wirst du lernen, sie zu kontrollieren.“
    Neben allem, was es über die Unterwelt zu wissen gab, musste ich also auch noch lernen, mit unkontrollierbaren Fähigkeiten klarzukommen. Nicht dass der Gedanke an göttliche Kräfte nicht aufregend gewesen wäre, aber die Vorstellung, ohne Vorwarnung Visionen zu bekommen, gefiel mir ganz und gar nicht.
    Nicht wenn ich davon derart dröhnende Kopfschmerzen bekam. „Welche Kräfte werde ich haben?“
    „Ich bin mir nicht sicher. Die Dinge, die Persephone tun konnte, müssen sich nicht automatisch auch auf dich übertragen.“
    Mir wurde das Herz schwer. Wenn das so weiterging, würde ich Persephones Schatten niemals entkommen. „Was konnte sie denn tun?“, hakte ich nach, obwohl das eigentlich das Letzte war, worüber ich reden wollte. „Konnte sie Dinge sehen?“
    „Ja. Ihre anderen Fähigkeiten waren so ziemlich die gleichen wie meine.“ Die Andeutung eines Lächelns erschien auf seinem Gesicht, und ich versuchte mir einzureden, es wäre bloß, weil das Blut fast komplett abgewischt war. Nicht weil er an Persephone dachte. „Sie konnte sich teleportieren. Außerdem hatte sie ein Talent dafür, Lüge und Wahrheit zu unterscheiden, und sie war eine Schöpferin, wie wir alle.“
    „Eine Schöpferin?“
    Er streckte den Arm aus, und einen Moment später erschien eine Blume aus Edelsteinen in seiner Handfläche. Genau wie die draußen im Garten. „Für dich.“
    Vorsichtig nahm ich sie hoch und betrachtete die zarten Blütenblätter aus rosa Quarz. In die Mitte waren winzige cremefarbene Perlen eingelassen, und der Stängel war aus einem Metall, das sich federleicht anfühlte. Ich hob die Blüte an meine Nase, roch aber nichts. So bezaubernd sie auch war, sie war doch nur ein Abbild.
    „Meine Brüder und Schwestern und ich sind sehr viel mächtiger als unsere Nachkommen“, fuhr er fort. „Die Gaben werden mit jeder Generation schwächer.“
    Ich bekam ein beklommenes Gefühl in der Magengegend. Unsere Nachkommen, nicht ihre . Andererseits fasste Henry sie immer zusammen, als wären sie eine Einheit statt sechs einzelne Wesen. „Hast du … Kinder?“, fragte ich zaghaft.
    Es war demütigend, zu erkennen, wie wenig ich über ihn wusste. Nachdem ich das Jahr zuvor lange und intensiv gepaukthatte, wusste

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