Die unsterbliche Braut
fiel. Ich holte tief Luft,schluckte meine Tränen herunter und weigerte mich zu weinen. Ihm würde es gut gehen, und wenn ich nicht zurückkehrte, gäbe es immer noch andere, die sich um ihn kümmern würden.
Trotzdem war es ein so furchtbarer Gedanke, dass ich ihn sofort aus meinem Kopf verbannte. Ich würde nicht sterben. Ich wollte es nicht, und James und Ava würden es sowieso nicht zulassen. Es musste einen anderen Weg geben, und wir würden genug Zeit haben, ihn zu finden.
Ich blickte nicht zurück, als wir den Weg hinabgingen, der vom Palast wegführte, gesäumt von den schwarzen Felssäulen. Die Kaverne war riesig, und als wir endlich die andere Wand erreichten, tat mein Bein so grausam weh, dass sich jeder Schritt anfühlte, als würde ich über Rasierklingen laufen.
„Was jetzt?“, fragte ich. Von hier aus führte kein Weg weiter, und soweit ich erkennen konnte, gab es keine verborgenen Höhlen oder Tunnel.
„Erinnerst du dich noch an unseren Weg nach hier unten?“, entgegnete James und nahm meine Hand. In seinem warmen Griff fühlte sich meine Hand winzig an, und ich warf Ava einen Blick zu, um herauszufinden, ob sie es bemerkt hatte, aber sie war vollauf damit beschäftigt, die Höhlenwand anzustarren.
Mir blieb keine Zeit, mir Gedanken zu machen, der Boden könnte wieder unter meinen Füßen verschwinden. Ohne Vorwarnung marschierte James direkt in den Felsen hinein und zog mich mit sich. Instinktiv kniff ich die Augen zusammen und verkrampfte mich in Erwartung des Aufpralls, rechnete mit einem scharfen Schmerz, wenn meine Stirn auf den zerklüfteten Fels traf – doch alles, was ich spürte, war eine sanfte Brise in meinem Haar.
„Was, zum …“ Ich öffnete die Augen, und mir fiel die Kinnlade herunter. Wir waren nicht mehr in der Unterwelt. Stattdessen standen wir in einem üppigen Garten mit Bäumen, die bis in den leuchtend blauen Himmel zu reichen schienen, umgeben von exotischen Blumen, die uns die Blüten zuwandten, als wir auftauchten.
„Willkommen in der Unterwelt“, sagte James. „Oder zumindest in dem Teil, in dem die Seelen verweilen. Komm.“
Er führte mich einen kleinen Trampelpfad entlang, während Ava hinter uns herschlenderte, ungewohnt still und versunken in den Zauber um uns herum. Im Vorbeigehen starrte ich die gigantischen Bäume an, unfähig, meine Ehrfurcht zu verbergen. Es war, als wäre ich mitten in ein Märchen hineingestolpert. Oder in den Bau des weißen Kaninchens gefallen.
„Was ist das für ein Ort?“, fragte ich. „Sieht die ganze Unterwelt so aus?“
„Nein“, antwortete James. „Guck mal, da vorn.“
Zwischen den Bäumen hindurch deutete er auf ein Mädchen, das auf einer Schaukel aus Weinreben vor und zurück schwang, das lange Haar hinter ihr herwehend und die Haut sonnengebräunt, von derselben Sonne, die in der Kaverne zuvor durch Kristall ersetzt worden war.
„Wer ist das?“, flüsterte ich. „Persephone?“
Ava stieß einen verächtlichen Laut aus, und ich warf ihr einen finsteren Blick zu.
„Wenn es doch bloß so einfach wäre“, erwiderte James amüsiert. „ Dieses Mädchen ist der Grund dafür, dass wir all das hier sehen. Henry hat dich doch mal in die Unterwelt mitgenommen, oder?“
Ich nickte. Damals hatte er es getan, um mich zu beruhigen. Um mir zu zeigen, dass es meiner Mutter gut gehen würde, wenn der Krebs siegte und sie starb. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich noch nicht gewusst, dass meine Mutter in Wahrheit unsterblich war. Das hätte mir sicher mehr geholfen.
„Wie der Central Park“, sagte ich. „So hat sie für mich ausgesehen. Da sind meine Mutter und ich im Sommer nachmittags immer hingegangen.“
„Das ist so allerliebst“, schwärmte Ava und hakte sich bei mir unter. „Bei mir wäre es Paris, wette ich. Da könnte ich ein Jahrtausend verbringen, ohne mich je zu langweilen.“
Gemeinsam warteten wir auf James’ Antwort, doch er blickteweiterhin auf das Mädchen in der Ferne. „Dies ist ihr Eden. Weil wir unsterblich sind, passt sich die Unterwelt an die nächste sterbliche Seele an – sie. Wohin sie auch geht, sie wird das hier sehen, und sobald wir uns jemand anderem nähern, wird es sich für uns ändern.“
Nachdenklich betrachtete ich sie, wie sie vor und zurück schwang, das Gesicht der Sonne zugewandt und ein Lächeln auf den Lippen. Sie sah glücklich aus. Auf genau die Art, nach der ich mich sehnte. „Sie ist allein? Sind sie alle allein?“
James bedeutete uns, ihm zu folgen. „Hat
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