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Die unsterbliche Braut

Die unsterbliche Braut

Titel: Die unsterbliche Braut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aimée Carter
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Henry dir nicht …“ Er unterbrach sich und verzog das Gesicht, und ich verkniff mir eine scharfe Erwiderung. Nein, Henry hatte mir gar nichts erklärt. „Hängt davon ab. Das gehört zu den Dingen, mit denen du dich beschäftigen wirst. Manche Leute werden mit ihren Liebsten wiedervereint, manche nicht. Manchmal verbringen sie die Hälfte ihrer Zeit allein und die andere mit ihren Liebsten. Es gibt keine festen Regeln dafür. Jeder Mensch hat die Art Leben nach dem Tod, die er erwartet. Oder zumindest die, von der er denkt, dass er sie verdient.“
    Oh. Diese Sache. Und wenn es irgendwo Fragen oder Widersprüche gab, kamen Henry und ich ins Spiel. „Den Teil hat er erklärt“, warf ich ein. „Manche Menschen verbringen wirklich den Rest der Ewigkeit allein?“
    Avas Griff um meinen Arm verstärkte sich, und ich erwiderte den Druck mit meiner Hand. Das hörte sich für mich nicht nach dem Paradies an.
    „Du musst lernen, keine so hohen Erwartungen zu haben“, erklärte James, während wir uns unseren Weg um eine riesige Trauerweide in der Farbe von Zuckerwatte suchten. „Jeder ist anders. Manchmal spielt Religion eine Rolle und manchmal nicht. Henry wird dir das alles erklären.“
    Nur wenn wir alle heil nach Hause kamen.
    Ich wusste, was mit normalen Menschen geschah, wenn sie starben. Aber wenn es dazu kommen sollte – wenn mein Tod ausreichte, um Calliope davon zu überzeugen, Kronos erneut zuunterwerfen, bevor er fliehen konnte –, was würde mit mir geschehen, jetzt, da ich unsterblich war? Ich würde vergehen, so viel wusste ich, aber was bedeutete das? Selbst bevor ich Henry kennengelernt und die Wahrheit erfahren hatte, hatte ich immer an irgendeine Art von Leben nach dem Tod geglaubt. Allein dieser Glaube hatte mir in den Jahren, in denen ich meiner Mutter beim Sterben hatte zusehen müssen, dabei geholfen, nicht den Verstand zu verlieren. Zu wissen, dass ich sie wiedersehen würde, wenn es auch für mich vorüber war. Diese Art Sicherheit hatte ich jetzt nicht mehr.
    Ich war so in Gedanken versunken, dass ich nicht bemerkte, wie der Himmel sich wieder verdunkelte. Die Sonne war verschwunden, an ihre Stelle waren wieder die Wände einer Höhle getreten, doch dieses Mal ging das Licht nicht von Kristalladern aus.
    Wir standen am Ufer eines Sees aus Feuer. Flammen schienen nach meinen Füßen zu züngeln, und als ich auf dem schwarzen Sand erschrocken einen Schritt zurücktrat, begannen James und Ava den See zu umrunden, als wäre er nichts als ein ärgerliches Hindernis.
    Und dann hörte ich die Schreie.
    Ohrenbetäubend hallten sie durch die Höhle, erfüllt von so viel Schmerz, dass es mich bis ins Mark erschütterte. Ein Mann schrie in einer Sprache, die ich nicht verstand, und entsetzt starrte ich in das Feuer.
    Er war an Ketten aufgehängt, die im Nichts verschwanden, bevor sie die Decke erreichten. Die untere Hälfte seines Körpers war in den See getaucht, und sein Gesicht war verzerrt von einem Schmerz, den ich mir nicht einmal vorzustellen vermochte. Langsam schmolz ihm das Fleisch von den Knochen, tropfte ins Feuer, doch sobald es verschwand, wurde es durch neues Fleisch ersetzt.
    Er verbrannte bei lebendigem Leib, wieder und wieder, ohne jemals Erlösung zu finden. Gellend hallten seine Schreie durch die Höhle und brannten sich in mein Gedächtnis, zu furchtbar,als dass ich sie je wieder vergessen könnte. Ich konnte den Blick nicht abwenden, und ich verspürte den unbändigen Drang, etwas zu tun – egal, was.
    „Wir müssen ihm helfen“, flehte ich, doch Ava hielt mich zurück. Ich wehrte mich gegen ihren Griff. Da eilte James zu uns und packte mich am anderen Arm.
    „Und wie willst du das machen?“, fragte er mich. „Indem du da reingehst und selbst auch noch verbrennst?“
    „Ich bin unsterblich“, stieß ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor, während ich zog und zerrte, um mich aus ihrem Griff zu befreien. „Schon vergessen?“
    „Das ist kein Grund, dich derartigen Schmerzen auszusetzen“, erwiderte James. „Beim ersten Schritt spürst du es vielleicht noch nicht, aber noch vor sechs Monaten warst du sterblich, und dein Körper hat das nicht vergessen. Du würdest es keine zwei Meter weit schaffen, geschweige denn bis zu ihm und zurück. Was auch immer er getan hat, er glaubt, dass er es verdient.“
    Sprachlos vor Entsetzen starrte ich ihn an. „Er glaubt, er hätte es verdient, bis in alle Ewigkeit bei lebendigem Leib zu verbrennen? Was, um alles in der

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