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Die unsterbliche Braut

Die unsterbliche Braut

Titel: Die unsterbliche Braut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aimée Carter
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Ich starrte auf meine Hände; James’ Anblick war für mich unerträglich. „Hast du je mit Henry geschlafen?“
    Einen Moment lang erwiderte Persephone nichts, und als ich zu ihr hinübersah, wirkte ihr Gesicht im Feuerschein seltsam verzerrt.
    „Schon okay“, ruderte ich zurück. „Du musst nicht antworten.“
    Für einen Sekundenbruchteil trafen sich unsere Blicke, und sie richtete sich auf, ihren Gesichtsausdruck wieder völlig unter Kontrolle. „Hast du?“
    Ich nickte. „Einmal, im März. Jetzt ist Oktober“, fügte ich hinzu. „Glaube ich.“
    Persephone zupfte an einer ihrer blonden Locken und seufzte.
    „Früher konnte ich es sehen. Selbst nach meinem Tod hat sich meine Haarfarbe mit den Jahreszeiten verändert, aber nach einer Weile hat das aufgehört.“ Sie lächelte. „Jetzt ist auf meinem Kopf immer Sommer.“
    Deshalb also hatte ihr Haar in Henrys Spiegelung eine andere Farbe gehabt. „In … in welcher Jahreszeit war es erdbeerblond?“, fragte ich.
    „Im Herbst“, antwortete sie. „Den Herbst über wurde es immer röter, und im tiefsten Winter war es schwarz. Zum Frühjahr hin hat es sich dann zu Braun aufgehellt.“
    Natürlich. James hatte mir erklärt, dass eine Spiegelung kein exaktes Abbild dessen darstellte, was geschehen war. Sie stellte dar, was auch immer ihr Schöpfer sich wünschte. Und was Henry sich wünschte, war Persephone, die ihn anlächelte, wenn sie ihn im Herbst wiedersah.
    „Ich hatte nicht vor, mit ihm zu schlafen“, brachte ich hervor und hielt inne. „Das hört sich bescheuert an, oder? Zu den Prüfungen gehörte auch Wollust, und Henry hat so gut für meinen Schutz gesorgt, dass Calliope keine Gelegenheit hatte, mich umzubringen. Also hat sie stattdessen die Prüfung sabotiert, indem sie uns ein Aphrodisiakum verabreicht hat.“
    Missbilligend schnalzte Persephone mit der Zunge. „Du hast es wirklich nicht leicht gehabt, oder?“
    „Was meinst du damit?“, fragte ich vorsichtig. War sie bloß sarkastisch?
    „Na ja, ich nehme mal an, du liebst ihn“, erklärte sie, und ich nickte. „Es ist gut, dass du für ihn da bist. Er verdient es, jemanden zu haben, der ihn liebt.“ Sie stockte kurz und fuhr zögernd fort, als würde sie ein tiefes, dunkles Geheimnis eingestehen: „Manchmal mache ich mir Sorgen um ihn. Es ist furchtbar, dass das einzige Mal, dass du mit ihm geschlafen hast, nach der Einnahme eines Aphrodisiakums war.“ Finster blickte sie zu Ava hinüber. „Aphrodite ruiniert alles.“
    „Ich war das doch gar nicht“, protestierte Ava aufgebracht. „Ich war nicht mal da.“
    „Es ist nach dir benannt .“
    Ich setzte zu einer Erwiderung an, doch Ava stieß nur einen missbilligenden Laut aus und würdigte diese Anschuldigung keiner Antwort.
    „Davon mal abgesehen, bei dem, was du vorhin gesagt hast …“, begann Persephone erneut. „Dass Mutter dich nur meinetwegen bekommen hat und jetzt all das hier – na ja, ich kann mir vorstellen, dass das nicht leicht ist. Deshalb hast du mein Mitgefühl.“
    Ich wusste nicht, was ich darauf erwidern sollte. Vielleicht war sie es nach einem ganzen Tag Herumgezanke mit Ava einfach leid, noch weiterzustreiten. „Das ist das Netteste, was du bisher zu mir gesagt hast.“
    „Erwarte nicht, dass das so weitergeht“, gab sie leicht aggressiv zurück. „Und um deine Frage zu beantworten: ja. Einmal.“
    Ich brauchte einen Moment, bis ich begriff, von welcher Frage sie sprach, und als es so weit war, öffnete ich den Mund, doch kein Ton kam heraus. Also hatte Calliope sich doch geirrt. Obwohl ich gewusst hatte, dass Persephone und Henry verheiratet gewesen waren, war es wie ein Schlag in die Magengrube, zu hören, dass ich für Henry nicht die Einzige gewesen war. Der Wunsch, dass ich eine Sache nicht mit ihr hatte teilen müssen, löste sich in Sekundenbruchteilen in Luft auf. Wieder einmal hatte Persephone es vor mir geschafft, und alles, was ich bekam, war das, was sie übrig gelassen hatte.
    „Es war furchtbar“, fuhr sie fort. Kurz schwebte ihre Hand zwischen uns, als spürte sie, wie aufgewühlt ich war, doch sie ließ sie wieder in den Schoß fallen. „Es war unsere Hochzeitsnacht, und wir haben nicht darüber geredet. Es ist einfach … passiert. Es wurde erwartet, und wir waren beide zu schüchtern, den anderen zu fragen, ob er wollte. Wir haben es beide einfach angenommen.“
    Still saß ich neben ihr. Ich wollte nicht darüber nachdenken, wie schlimm es für Henry und mich hätte werden

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