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Die unsterbliche Braut

Die unsterbliche Braut

Titel: Die unsterbliche Braut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aimée Carter
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Oberfläche. Zumindest hoffte ich das.
    „Hier.“ Henry trat beiseite und deutete auf Calliope. Neben ihr ließ sich Walter auf die Knie sinken – ihr Ehemann, rief ich mir in Erinnerung. Mit weit aufgerissenen Augen starrte ich die beiden an – er so alt und sie so jung –, während er ihr eine Locke aus dem Gesicht strich.
    „Ach mein Liebling“, flüsterte er, doch dieser zärtliche Moment war so schnell vorüber, wie er gekommen war. Walters Gesichtsausdruck verhärtete sich, und er hob sie mit der gleichenSorgfalt auf die Arme, die er einem Haufen Lumpen gewidmet hätte. „Henry, hast du irgendeinen Ort, an dem wir sie festhalten können?“
    Henry bedeutete Walter, ihm zu folgen. Ich wollte ebenfalls mitgehen, doch meine Mutter hielt meine Hand fest, und ich wollte sie noch nicht wieder loslassen.
    „Geht es dir gut?“, fragte sie und löste sich weit genug von mir, dass sie mich von Kopf bis Fuß betrachten konnte.
    „Alles in Ordnung“, erwiderte ich, obwohl das gelogen war. Mir tat alles weh, doch es hatte keinen Zweck, sich darüber zu beschweren, wenn es den anderen genauso gehen musste. „Und du? Haben sie dir wehgetan?“
    Sie schüttelte den Kopf. „Mir geht es gut. Das war sehr tapfer von dir – nach uns zu suchen.“
    Ich wandte den Blick ab und starrte auf den Blutfleck im Teppich, wo Calliope noch wenige Augenblicke zuvor gelegen hatte. „Es war dumm. Es tut mir leid. Ich wollte nie, dass so etwas passiert, aber ich konnte nicht … ich konnte nicht einfach danebenstehen und nichts tun.“
    „Natürlich konntest du das nicht, Liebes.“ Sanft wischte sie mir das dreckige Gesicht mit dem Ärmel ab und drückte die Lippen auf meine Wange. „Du wärst nicht du, wenn du nicht etwas unternommen hättest.“
    Aus dem Augenwinkel sah ich Persephone auf uns zutreten, und meine Mutter richtete sich auf. Ich weigerte mich, ihre Hand loszulassen, und auch ihr Griff wurde nicht schwächer.
    „Kate ist sehr tapfer“, erklärte Persephone freundlich. Meine Feindseligkeit ihr gegenüber begann dahinzuschmelzen, und ich öffnete den Mund, um das Kompliment zurückzugeben, als sie hinzufügte: „Ein bisschen dumm und kurzsichtig und vollkommen naiv, aber tapfer.“
    Das reichte, um sie erneut böse anzublicken. Doch sosehr ich sie auch hassen wollte, ich konnte es nicht. Nicht nachdem sie alles riskiert hatte, um uns zu helfen. Hatte sie wirklich gewusst, dass Calliope und Kronos sie nicht anrühren konnten? Jetzt,wo es vorüber war, war ich mir sicher, dass es nicht so gewesen war – nicht wenn nicht einmal Calliope es gewusst hatte. Und wie sie an ihrem Landhaus reagiert hatte, als herausgekommen war, dass Kronos uns verfolgt hatte – nein, sie hatte es nicht gewusst. Und trotzdem hatte sie uns geholfen.
    „Ohne dich hätten wir es nie gefunden“, gestand ich ihr zögernd zu, und meine Mutter – unsere Mutter – griff nach ihrer Hand.
    „Ich bin so froh, dass ihr zwei miteinander zurechtkommt.“ Sie seufzte. „Ich wollte nie, dass ihr euch unter solchen Umständen kennenlernen müsst, und es tut mir leid, dass ich nicht bei euch war.“
    In diesem Moment spielte es keine Rolle, dass sie Persephone nichts von meiner Existenz erzählt hatte. Auch wenn ich den äußerst hartnäckigen Teil meines Gehirns nicht ausschalten konnte, der mich immer wieder daran erinnerte, dass ich nur der Ersatz für Persephone war, die Zweitbeste, nichts als eine Reserve – für den Moment ignorierte ich ihn und zwang mich, freundlich zu lächeln. Nach allem, was unsere Mutter durchgemacht hatte, konnte ich ihr diese kleine Freude nicht verwehren.
    „Persephone.“
    Henrys Stimme war kaum lauter als ein Flüstern, aber selbst in dem Gewusel im Foyer schnitt sie mir bis ins Herz. Er stand im Flur, die Arme blutbefleckt und die Kleider zerrissen. Und genau wie in der Höhle starrte er an mir vorbei und konzentrierte sich auf Persephone. Es war, als hätte es die vergangenen Wochen nicht gegeben. Als hätte es die letzten tausend Jahre nicht gegeben.
    „Hallo, Hades“, sagte meine Schwester. „Es ist lange her.“
    Henry schlüpfte zwischen den anderen hindurch, um sich zu uns zu stellen, und obwohl er die Hand auf meinem Kreuz ruhen ließ, sah er mich nicht an. „Geht es dir gut?“, wollte er wissen, und Persephone verdrehte leicht genervt die Augen.
    „Natürlich geht’s mir gut. Ich kann ja schließlich nicht zweimal sterben.“
    Henry zögerte, und meine Mutter umfasste meine Hand fester.

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