Die Unsterblichen: Roman (German Edition)
Regierung diese subventionierten Selbstmorde zulässt. Es ist einfach makaber. Wir nutzen die schwächsten Mitglieder unserer Gesellschaft aus – die Alten, die Junkies, Menschen mit psychischen Erkrankungen –, und dann geben wir ihnen eine geladene Pistole und sagen: »Komm schon. Drück ab.«
Shepard Anson:
Das ist die humanste Lösung eines Problems, für das es keine humane Lösung gibt. Mittlerweile leben 720 Millionen Menschen in diesem Land. Wir sind ein Dritte-Welt-Land, und zwar schon seit einiger Zeit. Wenn wir unsere Bevölkerungszahlen, die sich immer schneller unserer Kontrolle entziehen, nicht in den Griff bekommen, dann wird die Natur selbst mit großer Freude diese Aufgabe übernehmen.
Paolo Estes:
Ich verstehe, warum wir die Euthanasie-Spezialisten brauchen. Aber dass Patrioten-Verbände Suizidopfer verehren, als hätten sie eine karitative Spende abgegeben? Das ist doch unheimlich. Es tut mir leid. Aber das ist doch wirklich, wirklich verkorkst.
Kensi Patton:
Mein Bruder hat vor drei Monaten die Dienste eines Euthanasie-Spezialisten in Anspruch genommen. Er war dreißig. Das war jedoch nicht sein Deaktivierungsalter. Es war sein tatsächliches Alter. Dreißig, bei einem Deaktivierungsalter von sechsundzwanzig. Und als er sich entschied, seinem Leben ein Ende zu setzen, war der Staat mehr als bereit, ihm zwei Personen vorbeizuschicken, die ihm dabei helfen sollten.
Ich komme nicht um den Gedanken herum, dass er nicht starb, weil er es so wollte, sondern weil alle anderen es so wollten. Darum geht es hier. Wir warten vierzig Minuten in der Schlange vor der Aufladestation, wir suchen eine Stunde nach einem Parkplatz, wir teilen eine Einzimmerwohnung mit drei anderen Menschen, und wir wünschen uns, dass uns die anderen Menschen endlich alle aus dem Weg gehen.
Und nun sind wir als Gesellschaft damit einverstanden, dass ein Programm erstellt wird, mit dem Selbstmörder unterstützt werden, ohne darauf zu achten, ob sie dreißig oder hundert Jahre alt sind. Gibt es dort draußen denn nicht auch Leute, die es wert sind, gerettet zu werden? Karl Olmert wollte sich zum Beispiel als Jugendlicher das Leben nehmen, und nun ist er einer der besten Architekten der Welt. Jetzt würde das nicht mehr passieren. Sollen wir Leute wie ihn wirklich einfach verschwinden lassen, bloß weil wir nicht teilen wollen?
Neulich habe ich ein Gerücht über den Leiter einer Feuerwache in einer Stadt in Massachusetts gehört. Irgendwann im letzten Jahr bekam der Leiter mitten in der Nacht einen Anruf. Er war vom Notruf weitergeleitet worden. In einem Wohnblock war ein Feuer ausgebrochen. Es war einer von der wirklich schlimmen Sorte – Drogen, Bandenmitglieder, die ganze Palette. Als der Mitarbeiter des Notrufs dem Leiter von dem Feuer erzählte, weigerte sich dieser, einen Wagen hinzuschicken, um das Feuer zu löschen. »Spontane Euthanasie«, nannte er es. Dann legte er auf und spielte weiter auf seinem WEPS Solitaire, während die Feuerwehrmänner einen Stock höher schliefen. Sie ließen den Wohnblock einfach niederbrennen. Niemand berichtete in seinem Feed von dem Feuer. Niemand bemühte sich herauszufinden, wie viele Menschen starben oder wie das Feuer ausgebrochen war. Niemanden kümmerte es. So wenig wert ist mittlerweile ein Menschenleben. Wir haben einen Überschuss, und den verbrennen wir.
Ich frage mich, ob diese Feuerwehrmänner meinen Bruder gerettet hätten. Offensichtlich spielte es für niemanden sonst eine Rolle.
GEÄNDERT AM:
08.03.2059, 16:09 Uhr
Ein paar Minuten mit dem schlimmsten Terroristen der amerikanischen Geschichte
Randall Baines steht nach wie vor an erster Stelle der Liste der meistgesuchten Verbrecher des FBI. Er war in die Anschläge vom 3. Juli verwickelt, weshalb ich alles über ihn weiß. Ich sehe sein Gesicht, und ich sehe mich selbst, wie ich von den Feuerwehmännern aus dem Flur geschickt und gezwungen werde, in einem kalten, grauen Treppenhaus zu sitzen, während meine beste Freundin bei lebendigem Leib verbrennt.
Eine Journalistin, die das Pseudonym Flywheel benutzt und anonym bleiben möchte, hat es geschafft, mit diesem Typen ein Interview über die Internetplattform iFace zu führen. Alles an dem Video scheint echt zu sein. Hier ist ein Auszug:
Flywheel: Sind Sie krank?
Baines: Ja, ich bin sehr krank.
Flywheel: Ist es Krebs?
Baines : Ich werde keine Details verraten. Es genügt, wenn ich sage, dass sich meine Zeit dem Ende zuneigt, und so sollte es auch sein.
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