Die Unsterblichen: Roman (German Edition)
innewohnt und das ihn dazu bringt, die Gesellschaft und die Technik weiterzuentwickeln, und zwar so, dass sie immer besser werden als zuvor. Seht ihr nicht, wie erstaunlich das ist? Es ist ein Segen, den wir alle bekommen haben. Ich bin also hocherfreut, obwohl es sich eigentlich um schlechte Neuigkeiten handelt. Es gab auch ein Interview mit Juan Ozuma, dem Vizepräsidenten von VoltAir. Ozuma sagte nach dem Absturz Folgendes: ‚Ich versichere Ihnen, dass wir weiterhin alles tun werden, um die Mission unseres Unternehmens weiterzuführen.‘ Werden sie das Unternehmen aufgeben, weil diese beiden Männer gestorben sind? Nein! Sie werden weitermachen. Sie werden im Angesicht dieser Tragödie weiterkämpfen, um sich den Traum von einem strombetriebenen Flugzeug zu erfüllen. Und wisst ihr was? Ich wette, sie schaffen es. Vielleicht nicht jetzt. Ganz sicher nicht jetzt. Aber irgendwann einmal wird jemand das Problem lösen. Denn irgendwer schafft es immer. Die Geschichte beweist es uns immer wieder. Entdeckungen werden gemacht, Mauern werden niedergerissen.«
Ich hörte aufmerksam zu, und alles, was Derron sagte, klang nachvollziehbar. Doch dann sah ich, wie er die Stirn in Falten legte, wie seine Augenbrauen immer wieder über dem Kopf des blonden Typen vor mir auf und ab sprangen, und plötzlich schlug seine Predigt eine andere Richtung ein.
»Das ist die Göttlichkeit, meine Freunde. Darüber sprechen wir, wenn wir über das Kollektiv sprechen – diese riesige, unaufhaltsame Macht des Lebens, die den Fortschritt des Menschen ausmacht. Das ist der Segen, den wir auf diese Erde gebracht haben. Andere Gemeinden mögen sich dieser Vorstellung vorsichtig nähern, doch ich tue das nicht. Wir sind die Götter dieser Erde. Täuscht Euch nur nicht. Eine Ameise – eine winzig kleine Ameise auf dem Boden –, diese Ameise sieht zu mir hoch, und was sieht sie? Einen Titan. Eine höhere Macht, die sie nicht einmal im Ansatz begreifen kann. Eine Macht, die ihr Schicksal in den Händen hält. Wir sind das Schicksal. Und der Tod dieser beiden wunderbaren, einfallsreichen Männer ändert daran nicht das Geringste. Wenn ihr heute nach Hause geht, dann möchte ich, dass ihr über euren Ehrgeiz nachdenkt und über die wunderbare Macht, die wir über diese Erde und die Kreaturen haben, die auf ihr leben. Ich möchte, dass ihr …«
Genau in diesem Moment begann jemand in der Menge zu brüllen. Ich konnte sein Gesicht nicht sehen, doch ich hörte, wie er Derron von der Mitte der Kapelle aus anschrie. »Du bist ein verdammtes Ekelpaket«, schrie er. »Du bist ein verdammtes Ekelpaket, Reverend Carl Derron! Bald schon wird diese verdammte Kirche zusammenbrechen und niederbrennen, dafür werde ich sorgen! UND ZWAR VERDAMMT NOCHMAL JETZT GLEICH!«
Alle schnappten nach Luft, und ich fand mich plötzlich mitten im Chaos wieder, als die in Panik geratenen Kirchgänger auf die Ausgänge zudrängten. Durch die Körper der Fliehenden hindurch sah ich, wie eine Gruppe Männer den Störenfried zu Boden warf, und ein plötzliches Aufblitzen von Metall irgendwo in dem Haufen. Ein Messer, eine Pistole, ein Viehstock – ich weiß es nicht. Ich sah es bloß aufblitzen. Ich drehte mich schnell um und eilte auf die Türen zu, gerade als die Wachmänner in Kampfanzügen hereinstürmten. Derron versicherte der Menge, dass der Störenfried dingfest gemacht worden war. Doch das beruhigte mich kein bisschen, weshalb ich die Kirche der Menschheit so schnell es ging verließ und versuchte, nicht weiter darüber nachzudenken.
Während ich darauf wartete, die Garage verlassen zu können, rief ich David an und erzählte ihm von der Messe. Ich berichtete ihm von dem seltsamen Ende, das Derron für seine Predigt gewählt hatte, und von dem mutmaßlichen Attentäter. Er meinte, dass ich mir einfach die falsche Kirche ausgesucht hätte. Er flehte mich an, mir eine andere Gemeinde zu suchen und es noch einmal zu versuchen. Ich konnte ihm nichts versprechen.
GEÄNDERT AM:
14.06.2059, 12:03 Uhr
»Wir nehmen, was wir zum Überleben brauchen – und dann nehmen wir uns vielleicht noch ein bisschen mehr«
Hier ist eine Niederschrift einer Reportage von Joe Mascis über die sogenannten »nicht autorisierten militärischen Banden«, die gestern von dem Nachrichtensender CBS veröffentlicht wurde:
Mascis: Petr Dmitrow war beinahe zwanzig Jahre bei der russischen Armee. Während dieser Zeit war er an den russischen Invasionen in Georgien, der Ukraine, Litauen,
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