Die Unsterblichen: Roman (German Edition)
war. Ich überflog die Liste, um abschätzen zu können, wie lange die Messe dauern würde. Das Lied kam zum Ende. Derron hob abermals die Hand und begann, zu der Menge zu sprechen, die plötzlich totenstill geworden war.
»Guten Morgen«, sagte er.
»Guten Morgen!«, antworteten alle Kirchengänger einstimmig.
»Heute wollte ich eigentlich mit euch über den üblichen langweiligen Kram sprechen, zum Beispiel darüber, dass man seine Mitmenschen gut behandeln oder die Geschichtsbücher der Kirche der Menschheit auswendig kennen sollte. Doch stattdessen werde ich heute mit euch über … das Fliegen sprechen.«
Die Menge kicherte.
»Ich würde gern im Herbst meine Enkeltochter in Nevada besuchen und habe mich daher nach einem Flug umgesehen. Ich habe keine Ahnung, warum ich mich überhaupt damit befasst habe, denn ich wusste bereits vorher, dass ich mir das Ticket ohnehin nicht würde leisten können. Aber ich sah mich dennoch um, bloß so zum Spaß. Ein Ticket für den Hin- und Rückflug kostet – natürlich ohne Gepäckgebühren – zwölftausendzweihundertdreißig Dollar.«
Die Menge rang auf angemessene Weise nach Atem, als sie den Betrag hörte.
»Ich wusste natürlich, dass ich mir das Ticket nicht leisten konnte, es sei denn, ich würde einen etwas lockereren Umgang mit unserer Kirchenkollekte pflegen. Ich war also verzweifelt, denn ich wusste, dass ich mit dem Elektroauto endlos lange unterwegs sein würde. Und dann sah ich etwas, das mich nur noch mehr verzweifeln ließ. Es war ein Artikel – ich bin mir sicher, dass ihr ihn ebenfalls gesehen habt – über das Flugzeug, das zu Beginn dieser Woche abgestürzt ist. Bei diesem Flugzeug handelte es sich um einen lange erwarteten Prototyp, nämlich um das erste strombetriebene Passagierflugzeug, genannt VoltAir sieben-eins-sieben. Es stürzte auf seinem Jungfernflug ab, und zwei Menschen kamen dabei ums Leben. Der Pilot, Wyatt Embry, und der Geschäftsführer der Firma, Sir David Paul Furniss. Im Artikel hieß es, dass Furniss’ Beta-Version des Prototyps bereits vor einem Jahr erfolgreich vom Boden abgehoben und fünfzehn Minuten lang in der Luft geblieben war. Von der neueren Version hieß es, dass sie eine Stunde lang mit Hilfe von elektrischem Strom fliegen konnte und damit für Kurzstreckenflüge geeignet sei. Also berief Furniss eine Pressekonferenz ein und erklärte, dass die VA sieben-eins-sieben bereit für den Abflug sei. Er hatte sogar einen Spitznamen für das Flugzeug. Die blutrote Wespe, was sehr eingängig ist. Das Flugzeug war mit allerlei modischen Spielereien ausgestattet – der Innenraum war von Layla DiGiorno gestaltet worden, es gab Panoramafenster, Duschen und ein Buffet-Restaurant in der Passagierkabine. Das ganze Programm. Es war also eine große Sache. Dann geschah Folgendes: Embry und Furniss bestiegen das Flugzeug und rollten damit die Startbahn hinunter, vorbei an einer Tribüne mit angeblich mehr als dreihundert Familien- und Firmenmitgliedern sowie Zuschauern. Lasst mich das Folgende direkt aus dem Artikel zitieren: ‚Zeugen gaben an, dass das Flugzeug vom Boden abhob, um kurz darauf wieder zu Boden zu sinken und in einen nahegelegenen Obstgarten zu stürzen.‘ Nun, das ist aus mehrerlei Gründen tragisch. Offenkundig sind zwei Menschen gestorben und ihre Hinterbliebenen sind ihrer beraubt worden. Doch auch unsere Hoffnungen, eine umweltfreundlichere und billigere Art des Fliegens entdeckt zu haben, durch die vermutlich der Ausflug zu meiner Enkeltochter eines Tages erschwinglich geworden wäre, haben einen herben Rückschlag erlitten. Denn obwohl wir dem Prozess des Fliegens vielleicht skeptisch gegenüberstehen, würden wohl die meisten von uns alles dafür geben, um wieder regelmäßig fliegen zu können, nicht wahr?«
Alle nickten.
»Ich war also traurig, denn ich hasse es, wenn Fortschritt aufgehalten wird. Doch je mehr ich darüber nachdachte, desto mehr kam ich zu dem Schluss, dass dahinter eine tiefere Bedeutung steckt, aus der wir lernen können. Eine wundervolle Bedeutung. Da waren diese beiden Männer, Furniss und Embry, die ihr Leben für eine Idee opferten, die unser aller Leben in der postmortalen Welt erleichtert hätte. Sie haben alles aufgegeben für die Chance, uns zu helfen. Aus welchem Grund? War es das Geld? Nun ja, natürlich. Der Wunsch, als Flugpioniere in die Geschichte einzugehen? Sicher. Der Ehrgeiz spielt immer eine Rolle. Doch dieser Ehrgeiz ist ein Geschenk, etwas, das dem Menschen
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