Die Unsterblichen: Roman (German Edition)
wenn er dann auftaucht und halbwegs lebendig aussieht, dann sind alle beeindruckt. Es war ein cooler Trick. Er und Franz fuhren in einem goldenen Golfwagen über die Insel, und Franz schrie uns die ganze Zeit durch sein Megafon Dinge zu: ‚Hey, ihr Spaßvögel, fühlt es sich gut an, so schön zu sein?‘ Das war schon was.«
»Was ist passiert? Warum bist du nicht geblieben?«
»Ich wurde nicht schwanger. Später haben wir herausgefunden, dass das der wahre Grund war, warum uns Hornbacher dorthin gebracht hat. Er experimentierte. Er versuchte, verschiedene Menschen mit verschiedenem Aussehen zusammenzubringen, um zu sehen, was dabei herauskam. Ich denke, er war wohl darauf aus, mit seinen Züchtungen einen großen Preis zu gewinnen. Er erwartete, dass eine von uns eine perfekte Muse zur Welt brachte, die er dann für immer und ewig verehren konnte. Ein Modepüppchen. Deshalb waren wir dort. Er versuchte, einen perfekten Menschen zu kreieren.«
»Das ist unheimlich. Es klingt nach einer Herrenrasse.«
»Nicht ganz, aber genauso unheimlich. Ich meine, er war kein weißer Rassist. Aber er war dennoch ein Rassist. Es waren Schwarze und Latinos und Brasilianer und viele andere dort. Er war furchtbar versnobt, man wusste nie, wann er einen nur so aus Spaß wegschicken würde. Eines Tages kamen sie zu mir und sagten, dass ich gehen müsse. Franz selbst hat sich nie von mir verabschiedet, obwohl wir ab und zu nette Gespräche geführt hatten. Sie flogen mich zurück nach Dulles, gaben mir einen Scheck und ließen mich im Terminal stehen. Außerdem haben sie mir nie gesagt, dass das Sonnenlicht Hautschäden verursachen kann, obwohl man sich hat deaktivieren lassen.« Sie zeigte auf ihr Gesicht. »Die zehntausend Dollar waren nur ein Tropfen auf den heißen Stein, wenn ich an die Lifting-Operationen denke.«
»Du siehst gut aus.«
»Wenn das Licht schwach genug ist. Und du? Wie alt bist du, wenn du mich schon fragen musstest?«
»Ich bin achtundsechzig. Mein Deaktivierungsalter ist neunundzwanzig.«
»Nicht schlecht. Du siehst gut aus. Du siehst aus, als wärst du neunundzwanzig.«
Ich sah zum Fenster hinaus. Als ich mit Keith in Mexico herumhing, haben wir manchmal die Nacht über auf der Straße geschlafen. Ich kann mich noch erinnern, dass die Häuser von Rohbetonmauern umgeben waren, aus deren Oberkanten zerbrochene Glasflaschen ragten. Und ich kann mich erinnern, dass es in Cuernavaca nicht einmal um drei Uhr morgens richtig Nacht wurde. Es gab zu viele Straßenlaternen, und die Luft war so dunstig, dass sie das Licht reflektierte. Statt eines schwarzen Himmels hatte die Nacht stets einen bizarren ätherischen Schimmer an sich. Phosphoreszierend – als würde ein riesiger Bildschirm über deinem Kopf schweben. Nun sah ich denselben Schimmer vor meinem Fenster. Es gibt ihn schon seit einiger Zeit. Die Nacht gibt es nicht mehr. Egal wo ich hingehe, die Welt kommt nirgendwo mehr vollkommen zur Ruhe. Ich drehte mich zu Julia um. »Ehrlich gesagt fühle ich mich nicht, als wäre ich neunundzwanzig. Jeden Morgen blicke ich in den Spiegel, und ich sehe einen Körper, der eine Lüge ist. Ich habe das Gefühl, als wäre meine Haut eine bloße Hülle. Wenn man dagegenklopft würde sie brechen und zersplittern. Man könnte sie abziehen, und darunter käme ein kranker und faltiger alter Mann zum Vorschein. Dieser Körper ist bloß ein Versteck.«
»Zumindest ist dein Körper vollständig entwickelt«, sagte sie. »Du bist ein Mann. Aber was bin ich? Die letzten zwanzig Jahre war ich nichts anderes als eine Minderjährige. Niemand hört, was ich zu sagen habe, weil alle denken, ich hätte noch den Verstand eines flatterhaften kleinen Teenagers. Die einzigen Männer, die mir nachschauen, sind Widerlinge auf der Suche nach etwas, das kaum legal ist. Nichts für ungut.«
»Kein Problem.«
»Ich sehe sechsundzwanzig- oder siebenundzwanzigjährige Frauen und denke mir: Mein Gott, das sind Frauen . Richtige Frauen. Frauen, die einen Anzug tragen können und darin professionell aussehen. Frauen, die eine Karriere und einen Lebensabschnittsehemann und Kinder und diesen ganzen Scheiß haben, den ich niemals haben werde.« Sie lehnte sich zu mir. »Und weißt du, was das Schlimmste ist? Ich benehme mich auch immer so, als wäre ich noch achtzehn. Ich kann nichts dagegen machen. Ich sehe aus wie achtzehn, deshalb habe ich das Gefühl, ich müsste irgendwie diese Rolle spielen. Ich betrinke mich. Ich verhalte mich in der Gegenwart
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