Die Unsterblichen: Roman (German Edition)
stecken, so dass er starb. Das Heilmittel selbst hat ihm keinen Schaden zugefügt.
Resnick: Aber er selbst stand dem Heilmittel und den Folgen, die eine Verbreitung haben würde, doch skeptisch gegenüber.
Otto: Ja, auf jeden Fall. Wenn es das Heilmittel nicht gäbe, gäbe es keine Farmen in Russland, keine Banden, keine Peter-Pan-Fälle. Keines dieser grauenhaften Dinge.
Resnick: Verstehen Sie im Nachhinein die Beweggründe der Menschen, die ihn getötet haben?
Otto: Ich verstehe ihren Standpunkt, aber nicht ihre Vorgehensweise. Das Furchtbare am Tod meines Vaters war, dass er und die Menschen, die ihn getötet haben, eigentlich nicht unterschiedlicher Meinung waren. Sie hatten die gleichen Ängste. Doch anstatt mit meinem Vater zusammenzuarbeiten und zu versuchen, das Heilmittel verantwortungsvoll zu nutzen, haben sie beschlossen, ihn zu töten. Und das werde ich nie verstehen. Ich verstehe es jetzt nicht, und ich werde es in hundert Jahren noch nicht verstehen, falls ich das Glück haben sollte, dann noch hier zu sein.
Resnick: Wünschen Sie sich manchmal, er hätte das Heilmittel nie entdeckt?
Otto: Manchmal. Aber sich so etwas zu wünschen, ist vergebene Mühe. Es gibt nur eine Realität, und das ist die Realität, mit der ich zurechtkommen muss. Ich glaube, viele Menschen haben gehofft, dass das Heilmittel nicht nur den Tod auslöschen wird, sondern auch den Kummer, den der Tod mit sich bringt. Die Endgültigkeit. Ich denke, die Menschen haben geglaubt, sie könnten dem damit entfliehen, doch das Gegenteil war der Fall. Sie müssen nun viel länger mit ihrer Trauer fertig werden.
Resnick: Haben Sie Angst, dass die Entdeckung des Skeleton Key den Menschen ebenfalls ein falsches Gefühl der Sicherheit geben könnte?
Otto: Ja. Das ist auch der Grund, warum ich den ursprünglichen Prototyp beinahe verworfen hätte.
Resnick: Ich wette, Sie hätten nie vermutet, dass Sie eines Tages kurz davor stehen würden, ein Heilmittel gegen Krebs zu entdecken, nur um sich Sorgen darüber zu machen, ob es vielleicht schlimme Folgen haben könnte.
Otto: Ja, ich weiß. Es ist verrückt, dass wir mittlerweile an diesem Punkt angelangt sind. Dennoch ist es legitim, sich darüber Gedanken zu machen. Ist es gut, eine Krankheit – oder viele Krankheiten – zu heilen, die auf persönlicher Ebene verheerende Auswirkungen haben, die aber im Ganzen gesehen von Natur aus notwendig sind? Und wenn wir ehrlich sind, warum versuche ich, etwas zu entdecken, das all diesen anderen Menschen helfen wird? Wir leben mittlerweile in einer Welt, in der viele Menschen sich fragen, ob andere Menschen überhaupt noch von Bedeutung sind. Sie fragen sich, ob der Rest der Welt ihnen überhaupt noch etwas bedeutet oder ob alles, was zählt, die kleine Gruppe von Freunden, Familienmitgliedern und Kollegen ist, die sie sich selbst geschaffen haben. Wenn man sich diesem Minenfeld an Fragen stellt, kommt man leicht zu dem Schluss, dass der Impfstoff keine gute Sache ist.
Resnick: Warum haben Sie den Impfstoff dann nicht zerstört?
Otto: Weil ich tief in meinem Herzen wusste, dass ich den Prozess nicht würde aufhalten können. Niemals. Da draußen gibt es Unmengen an privaten Labors, die an einer ähnlichen Sache arbeiten. Glauben Sie, dass Michael Ornster nicht bereits vierzig Leute darauf angesetzt hat? Früher oder später wird dieser Impfstoff perfektioniert werden, und man wird ihn einsetzen, zum Nutzen und zum Schaden der Menschheit. Man kann die Leute nicht davon abhalten, zu tun, was sie tun möchten. Das habe ich vor langer Zeit erkannt – damals, als ich auf der Brücke stand und bereit war, den Prototyp auf den Felsen darunter zerschellen zu lassen. Ich kann mich erinnern, als ich meine Frau geheiratet habe …
Resnick: Ihre aktuelle Frau.
Otto: Ich hatte immer nur diese eine Frau. Keine Lebensabschnittsehen. Wie auch immer, ich erinnere mich daran, wie wir die Hochzeit geplant haben, wir besuchten Bäckereien, Caterer und weiß Gott was noch alles. Und meine Frau hatte am Tag unserer Hochzeit eine Panikattacke. Sie sagte: »Steve! Lass die Gäste ja nicht die Platzkarten austauschen!« Und sie wies die Platzanweiser an, die Gäste dazu zu bringen, sowohl im Gästebuch als auch auf einem speziellen Foto zu unterschreiben, das wir auf einem Tisch im Foyer platziert hatten. Natürlich hielten sich die Gäste an keine unserer kleinen Vorgaben. Sie tauschten die Sitzplätze und dachten gar nicht daran, auf dem Foto zu unterschreiben. Und
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