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Die Unsterblichen: Roman (German Edition)

Die Unsterblichen: Roman (German Edition)

Titel: Die Unsterblichen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Drew Magary
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Problem, das anders ist als alles, mit dem alle anderen Präsidenten aller anderen Länder es jemals zu tun hatten. Haben wir wirklich geglaubt, dass dieser Mann dieses Problem ohne weiteres würde lösen können, wenn es doch die Macht hat, den ganzen Planeten aus dem Gleichgewicht zu bringen? Sein Instinkt sagte ihm, dass es gut wäre, so lange wie möglich behutsam damit umzugehen, und das war auch richtig. Nun scheint es, als wären drei Jahre eben so lange wie möglich gewesen. Er gab tapfer zu, dass es ein Fehler war, es hinauszuzögern, doch er muss sich nicht dafür entschuldigen. Diese dreijährige Wartezeit erlaubte es ihm, sich darüber Gedanken zu machen, wie man die Verabreichung des Heilmittels am besten regulieren könnte. Der Präsident sprach von einer schrecklichen Realität, die bald über uns hereinbrechen wird. Es sieht so aus, als wäre er einer der wenigen, die versucht haben, sich die Zukunft bildlich vorzustellen und sich Gedanken darüber zu machen, wie wir damit umgehen werden. Seine Worte gestern Abend klangen hoffnungsvoll, doch die Sorge in seinen Augen war nicht zu übersehen. Er sammelt seine Kräfte für das, was vor uns liegt, und er möchte, dass wir dasselbe tun. Denn nun sind die Schleusen geöffnet. Die Schleusen sind weit geöffnet.

    Nach der Rede des Präsidenten gestern Abend machte ich einen langen Spaziergang Richtung Uptown. Sie hatten die Absperrgitter entfernt, und die Demonstranten waren verschwunden. Die ganze Stadt schien wieder zu atmen. Alle lächelten. Glücklich. Vermutlich betrunken. Die Feier war in vollem Gange.
    Ich ging am UN-Hauptquartier vorbei. Es stand nicht länger unter Belagerung. Ich ging an den Plakaten auf der First Avenue vorbei. Dieses Mal gab es keine Slogans gegen das Heilmittel. Bloß einen Haufen Werbung für Pepsi. Ich ging an dem Gebäude, in dem sich die Praxis des Arztes befunden hatte, und an der Fifty-Ninth-Street Bridge vorbei. Alles schien normal zu sein. Alles schien so zu sein, wie es sein sollte. Die Welt drehte sich wieder.
    Aber tief in meinem Inneren wusste ich, dass es nicht so bleiben würde.
    GEÄNDERT AM:
    15.08.2019, 10:21Uhr

II

    AUSBREITUNG
    JUNI 2029
    (ZEHN JAHRE SPÄTER)

Foto Nr. 3650

    Heute Morgen habe ich wieder ein Foto von mir gemacht. Ich sehe noch immer gleich aus. Die Nase. Die Augen. Die Augenbrauen. Das Kinn. Es hängt nichts. Es haben sich keine Fältchen gebildet. Ich scrollte durch den Dateiordner mit dem Titel »Gesicht«, um das aktuelle mit den anderen Fotos zu vergleichen. Man sieht keinen wirklichen Unterschied, außer wenn ich gerade beim Friseur war. Das ist die einzige Gelegenheit, bei der man einen Unterschied erkennen kann. Meine Haare werden ein bisschen länger und noch ein bisschen länger, dann lasse ich sie schneiden, und das Foto wird zurückgesetzt, wie bei einer dieser altertümlichen Schreibmaschinen, die zurück zum Anfang gleiten, sobald man die Zeilenumschaltung betätigt. Obwohl die Haare länger werden, werden sie kein bisschen grau.
    Einmal hatte ich mir einen Stern auf die Wange gemalt, bloß um ein wenig Abwechslung hineinzubringen. Man sieht, wie er im Laufe der Woche immer mehr verblasst. Nachdem ich es getan hatte, haben sie mich in der Arbeit angesehen, als wäre ich ein aufsässiges Kleinkind. Als eine Art Kontrollmechanismus habe ich versucht, auf den Fotos immer den gleichen Gesichtsausdruck beizubehalten. Aber es gibt einige Fotos, bei denen ich nicht verstecken konnte, in welcher Stimmung ich mich gerade befand. Diejenigen, auf denen ich einen Kater habe, sind ziemlich leicht zu erkennen. Ich war offensichtlich nicht gerade glücklich damit, dass ich ein Foto von mir machen musste, obwohl ich selbst der aufdringliche Mensch war, der darauf bestand.
    Es gibt also kleine Unterschiede, doch im Grunde sieht mein Gesicht von Tag zu Tag gleich aus. Wenn man aus den Fotos ein Daumenkino machen würde, wäre es der langweiligste Film, den man sich vorstellen kann. Das einzig Aufregende ist, wenn plötzlich der Stern auftaucht. Ich habe mich nicht verändert. Ich bin nicht gewachsen. Der vermeintliche Charakter, den einem das Altern verleiht, wurde mir nicht zuteil. Man ahnt nicht, dass ich zwischen dem ersten und dem letzten Foto zehn Jahre lang gelebt habe. Wenn man von meinen Haaren einmal absieht, hätten alle 3650 Fotos an einem Tag gemacht worden sein können. Das Leben hat keine Spuren hinterlassen. Es ist, als hätte ich gar nicht gelebt.
    Ich habe einen Freund, der ab

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