Die Unsterblichen: Roman (German Edition)
deaktivieren lassen könnte.
Forlani (erzählt): Doch genau das hatte Mia Burkhart getan. Als Emilia etwa acht Monate alt war, entschied sie, dass sie nicht wollte, dass ihr perfektes kleines Baby jemals erwachsen würde.
Mia: Eines Tages sah ich sie an und fragte sie, ob sie glücklich sei, so wie sie war. Und sie sagte Ja.
Forlani: Aber sie konnte doch noch nicht sprechen.
Mia: Das musste sie nicht. Ich sah es in ihren Augen.
Forlani (erzählt): Nachdem sie beschlossen hatte, ihre Tochter deaktivieren zu lassen, suchte Mia im Internet nach einem Arzt, der illegale Deaktivierungen durchführte. Diese Ärzte sind Genetiker ohne Lizenz, die ihren verzweifelten Kunden das Heilmittel zu einem reduzierten Preis anbieten, manchmal sogar für nur tausend Dollar. Viele dieser Ärzte sind Betrüger, die ihren Opfern eine harmlose Kochsalzlösung injizieren, wie man sie auch bei Infusionen verabreicht bekommt. Leider war der illegale Arzt, den die Mutter der kleinen Emilia aufsuchte, kein Betrüger.
Mia: Ich wusste, dass es das war, was sie wollte, dass sie dadurch ihr ganzes Leben lang glücklich sein würde.
Forlani: Aber wollten Sie denn nicht zusehen, wie sie aufwächst? Besteht darin nicht die Freude, Kinder zu haben? Ihnen zuzusehen, wie sie aufwachsen und sich zu eigenständigen Menschen entwickeln?
Mia: Ich habe meinen Kindern bereits beim Aufwachsen zugesehen. Ich glaube nicht, dass dabei viel Gutes herausgekommen ist. Sie sterben jedes Jahr, wissen Sie? Sie werden ein Jahr alt und werden nie wieder einen Strampelanzug tragen. Sie werden zwei Jahre alt und werden nie wieder aus einer Schnabeltasse trinken. Das Kind, das sie einmal waren, stirbt, und es kommt nie mehr zurück. Sie werden geboren, um verdorben zu werden. Einer meiner Söhne sitzt mittlerweile im Gefängnis. Der andere ist drogensüchtig. Er verschwindet monatelang, und dann taucht er wieder vor meiner Tür auf und will Geld. Ich habe zugesehen, wie meine Kinder erwachsen wurden. Ich habe zugesehen, wie sie fortgingen. Ich habe zugesehen, wie aus ihnen unglückliche Menschen wurden, die ein Leben leben, das sie nicht wollen. Das wird Emilia nie passieren. Sie wird nie zu früh ihre Unschuld verlieren. Für sie wird die Welt für immer und ewig ein wunderschöner, magischer Ort sein.
Forlani: Aber Sie sitzen jetzt im Gefängnis. Tut ihr das denn nicht weh? Glauben Sie nicht, dass sie ihre Mutter vermisst?
Mia: Nun, wenn Sie mich einfach freiließen, damit ich meinem Kind eine Mutter sein kann, dann wäre das kein Problem.
Forlani (erzählt): Debra Cousin bemerkte vielleicht nicht, dass die kleine Emilia deaktiviert worden war, doch andere taten es. Darunter auch Mias Schwester, Wendy Malek.
Wendy Malek: Ich wusste, dass irgendetwas mit dem Kind nicht stimmte, aber ich war äußerst vorsichtig, wenn ich Mia darauf ansprach. Ich versuchte immer, es so höflich wie möglich auszudrücken. Ich fragte bloß: »Wie geht es ihr denn?« So etwas in der Art. Doch dann sah ich eines Abends in den Nachrichten einen Bericht über Thailand und wie dort junge Mädchen deaktivieren werden, um dann als Prostituierte zu arbeiten. Und da traf es mich wie ein Blitz.
Forlani: Sie wussten es.
Malek: Ich wusste es. Ich wusste es, und ich war entsetzt.
Forlani (erzählt): Laut den Polizeiberichten beschloss Wendy eines Abends, Mia mit ihren Vermutungen zu konfrontieren. Mia gab schließlich zu, dass sie Emilia hatte deaktivieren lassen, und flehte ihre Schwester an, niemandem davon zu erzählen. Vier Tage später verständigte Wendy Malek die Polizei und erzählte, was ihre Schwester getan hatte.
Forlani: Wie haben Sie sich gefühlt, als Sie dort anriefen?
Malek (weint): Es war furchtbar. Dieses Baby … Sie wird für immer ein Baby bleiben. Ich dachte zuerst, dass es wohl das Beste wäre, die Sache auf sich beruhen zu lassen. Außerdem stellte sich die Frage, wer für das Kind sorgen würde. Mia war die Einzige, die das tun wollte. Also dachte ich darüber nach, die Polizei nicht zu verständigen, doch tief in meinem Herzen wusste ich, dass ich damit nicht würde leben können. Mia hatte immer Probleme gehabt. Sie war depressiv. Aber ich hatte keine Ahnung, dass sie zu so etwas in der Lage sein würde.
Forlani (erzählt): Laut den Behörden sind sogenannte »Peter-Pan-Fälle« wie der Fall Emilia Burkhart relativ selten. Es handelt sich dabei um etwa ein Zehntelprozent aller Deaktivierungen in den Vereinigten Staaten. Zurzeit lebt Emilia bei Wendy
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