Die Unsterblichen: Roman (German Edition)
noch mehr zu sehen. Es gab einen Kontrollraum mit seismischen Detektoren, die ein digitales Abbild des Erdbodens über uns erschaffen konnten, vermutlich, um sich gegen alle zur Wehr setzen zu können, die sich bis zum Bunker durchgraben und ihn ausrauben wollten. Der Kontrollraum war rund um die Uhr besetzt. Der Texaner erklärte uns, dass er dafür Minenarbeiter engagiert hatte, da diese die Arbeit unter Tag gewohnt seien. Außerdem gab es ein Spielzimmer. Und einen begehbaren Humidor. Dann führte er uns durch sein Waffenlager. Und durch sein zweites Waffenlager. Und schließlich durch das dritte Waffenlager. Er zeigte uns eine riesige Wand am anderen Ende des Bunkers, die vollständig aus vulkanisiertem Kautschuk bestand. Hinter dem Kautschuk befanden sich eine weitere Wand aus Stahl, dann wieder eine Wand aus Kautschuk und schließlich ein 6,4 Millionen Liter fassender Öltank. Er hatte auch ein Zimmer für seine Spielzeugeisenbahn. Das fand ich nett. Ich stellte mir vor, wie er mit seiner Fahrdienstleitermütze dort saß und »Tut-tut« brüllte, während über ihm die Welt in Flammen stand.
Am Ende der Führung drehte er sich zu mir um. »Haben Sie auch schon Vorräte angelegt?«
Ich fühlte mich unzulänglich. Mein ganzer Besitz hätte in seinen Schnapsschrank gepasst. »Nicht wirklich«, sagte ich. »Aber ich habe einen zusätzlichen Deodorantstift im Schrank, nur für den Fall.«
»Nun, dann haben Sie ja einiges aufzuholen! Mann, ich habe doch nicht wirklich vor, jemals in diesem dämlichen Bunker zu wohnen. Aber zumindest weiß ich, dass meine Vorräte sicher untergebracht sind. Sie fangen besser früher als später damit an. Wie heißt es in dem Ratgeber von Marty Frost so schön? Man braucht einen Wasservorrat, der für einige Jahre reicht, außerdem Bohnen, Thunfisch und Gemüse in Dosen, ebenfalls für ein paar Jahre. Und Milchpulver für ein paar Jahre … Wie sieht es mit Waffen aus? Haben Sie eine Waffe?«
»Nein.«
»Gütiger Gott! Das ist doch verdammt unverantwortlich! Sie sind momentan das wertvollste Gut. Haben Sie nicht gesagt, dass Sie bald einen Sohn bekommen? Sie brauchen eine Pistole. Hier …« Er öffnete die Innentasche seiner Jagdjacke, holte eine kleine Automatikpistole heraus, entfernte das Magazin und reichte mir Pistole und Magazin. »Nehmen Sie die hier.«
»Oh, aber das kann ich doch nicht annehmen.«
»Nehmen Sie sie! Sie gefällt mir ohnehin nicht mehr. Ich kann Ihnen nicht anbieten, hier unten zu wohnen, wenn die Kacke erst einmal am Dampfen ist. Aber das ist das Mindeste, was ich für Sie tun kann. Nehmen Sie sie.«
»In Ordnung.« Ich nahm die Pistole. Es ist ein besonderes Gefühl, eine Pistole in der Hand zu halten. Sie liegt so gut darin, als wäre der Griff eigens für einen gemacht worden. Sie lädt einen ständig dazu ein, abzudrücken.
»So ist es gut«, sagte er. »Nehmen Sie die Pistole und lernen Sie, auf bewegliche Ziele zu schießen. Und legen Sie Vorräte an! Selbst wenn Sie sie selbst nicht brauchen, gibt es da draußen vielleicht eine arme Seele, die Ihnen eine hübsche Summe dafür bezahlen wird. Und nun zeige ich Ihnen die Kläranlage.«
Er zeigte uns die Kläranlage, die, wie er uns versicherte, hundert Liter ungeklärtes Abwasser in der Woche reinigen konnte. Am Ende unseres Rundgangs fuhren wir gemeinsam mit dem Aufzug nach oben und traten zurück in das gleißende Tageslicht. Ich atmete die Luft ein, und sie schmeckte schal im Vergleich zu dem Sauerstoff, den wir Hunderte Meter weiter unten im Atombunker des Texaners geatmet hatten. Auf unserer Fahrt zurück in die Stadt bot ich die Pistole meinem Chef an.
»Ich will sie nicht«, sagte er.
»Was zum Teufel soll ich denn dann damit machen?«
»Ich weiß auch nicht. Sie verkaufen oder so.«
Als wir zurückkamen, machte ich bei einem Supermarkt Halt, um mein Abendessen zu kaufen. Ich starrte die Wasserflaschen an, die ganz unten im Regal standen. Ich überlegte, ein paar Kisten mitzunehmen. Doch ich hatte keinen Flugzeughangar im Erdinneren, in dem ich sie hätte aufbewahren können. Also nahm ich stattdessen eine Tiefkühlpizza und eine Cola mit. Zurück in meiner Wohnung, nahm ich die Pistole und das Magazin und verstaute beides in meinem Schrank. Fünfzehn Blocks weiter gibt es eine Polizeistation, wo man seine Waffe gegen einen Supermarktgutschein im Wert von fünfundsiebzig Dollar eintauschen kann. Ich werde das Angebot wohl nutzen, denn ich brauche alle Dosenbohnen, die ich nur kriegen
Weitere Kostenlose Bücher