Die Unsterblichen: Roman (German Edition)
nach Hause kam, liebten wir uns gleich im Treppenhaus. Egal, wie absurd die Phantasie auch war, ich durchlebte sie mit ihr: Angriffe von Außerirdischen, Aufstände, Erdbeben, Überflutungen, Wirbelstürme, furchterregende Dinosaurierroboter – die ganze Palette. Ich verbrachte jeden wachen Augenblick damit, auf jegliche erdenkliche Art an sie zu denken. Es war mehr als eine mitleiderregende Besessenheit. Ich versagte mir sogar sexuelle Phantasien mit ihr, da sie in meinen Augen dafür zu tugendhaft war. Das ist auch ein Problem, das Jungs in der achten Klasse nun einmal haben.
Als ich in die zehnte Klasse kam, zogen wir aus Buffalo fort. Ich flehte meine Eltern an, mich zurückzulassen, damit ich bei einem Freund leben und weiterhin dieselbe Schule besuchen konnte. Damit ich Alison weiterhin sehen konnte. So versessen war ich darauf, mich selbst zu quälen. Meine Eltern lehnten ab, wir zogen fort, und mein Leben ging weiter. Ich wurde erwachsen. Ich schaffte es irgendwie, andere Mädchen zu küssen und sogar mit ihnen zu schlafen. Der Schmerz dieser innigen und traurigen Liebe verging und wurde nach langer Zeit immer weniger.
Als ich sie jedoch gestern Abend wiedersah, explodierte das Gefühl, das so lange in mir geruht hatte, von einem Moment zum anderen wieder. Ich war davon ausgegangen, dass ich zu alt sei, um eine dieser hormongesteuerten Teenagerlieben zu erleben, doch ich hatte mich geirrt. Und diese Tatsache machte mich verrückt, denn wenn ich diese Liebe nicht den Teenagerhormonen in die Schuhe schieben konnte, dann bedeutete das, dass ich noch immer verletzlich war. Dass ich noch immer schwach war.
Doch ich würde nicht denselben Fehler noch einmal begehen. Ich war älter und vermutlich auch reifer geworden. Ich legte mir einen Plan zurecht. Ich hatte dieses arme Mädchen drei ganze Jahre lang verfolgt. Das würde nicht noch einmal geschehen. Stattdessen trank ich meinen Drink aus, bestellte einen neuen und machte mich auf den Weg zurück zu Callie. Wenn Callie eine Bar besucht, dann zieht sie alle Aufmerksamkeit auf sich. Alles, was ich tun musste, war, in ihrer unmittelbaren Nähe zu stehen und etwas mit ihr zu trinken. (Limonade für das schwangere Mädchen.) Dann würde Alison mich sofort bemerken und sehen, dass ich sie nicht bemerkte.
Es funktionierte, Alison bemerkte mich bald darauf. Ich bin ein Genie.
»John?«, sagte sie. »John Farrell?«
»Jennifer?«, sagte ich mit voller Absicht.
»Erinnerst du dich denn nicht an mich?«
»Warte … Alison? O Mann, natürlich! Alison. Wie geht es dir? Schön, dich zu sehen!«
Ich gab ihr einen flüchtigen Kuss auf die Wange. Ich konnte ihre Haare riechen, sie rochen noch so wie damals, als ich zum ersten Mal den Geruch wahrgenommen hatte. Ich fiel beinahe auf der Stelle tot um.
»Was machst du hier?«, fragte sie.
»Eine Freundin ist schwanger, also schmeißen wir eine kleine Party.«
»Bist du der Vater?«
»Nein, nein. Gott sei Dank nicht.«
»Sind diese Frauen alle deine Freundinnen?«
»Nein, nicht wirklich. Ich bin allerdings mit einigen von ihnen ausgegangen, also wenn du mich von diesem kleinen Hexenkränzchen erlösen könntest …«
»Wir wollten eigentlich nur ein paar Drinks nehmen und vielleicht eine Kleinigkeit essen. Du kannst uns gern Gesellschaft leisten.«
Und das tat ich. Ich bestellte Wein. Ich tat so, als würde mich Alisons Freundin genauso interessieren wie sie. Ich erzählte Geschichten. Ich brachte Alison zum Lachen, so dass sie mich einmal sogar spielerisch gegen die Schulter boxte. Das hatte sie während der Schulzeit nie getan. Während wir sprachen, versuchte der dreizehnjährige Junge in mir immer wieder, aus meinem Inneren hervorzukrabbeln und sich in seiner ganzen dämlichen, unbeholfenen Schönheit zu präsentieren. Ich drängte ihn gewaltsam zurück, indem ich meinen ganzen Mut und einiges an Scotch zu Hilfe nahm. Die Freundin ging auf die Toilette. Alison nippte an ihrem Drink und begann, tiefer zu graben.
»Also … bist du verheiratet?«
»Ich? Nein«, sagte ich. »Aber ich hätte es beinahe getan.«
»Aber dann hast du einen Rückzieher gemacht …«
»Nein. Wir waren nicht einmal verlobt. Aber wir haben einen Sohn, weißt du.«
»Aha. Und wohnt er hier?«
»Ja. Er lebt bei seiner Mutter und ihrem Verlobten.«
»Au Mann. Ist das nicht etwas seltsam?«
»Nicht so sehr, wie man annehmen würde. Was ist mit dir? Bist du verheiratet?«
»Ich bin geschieden.«
»Das tut mir leid.«
»Das muss es
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