Die Unsterblichen: Roman (German Edition)
begannen mit dem Bau der Mauer, doch darüber hinaus verbrachten sie auch die gesamten 2020er Jahre damit, Ressourcen einzulagern: Nahrungsmittel, Treibstoff, Getreide, Feuerholz, Kohle und Wasser aus den örtlichen Quellen. Am Rande der Stadt wurden riesige Lagerhäuser errichtet, um die Vorräte zu lagern. Die Kirche baute ein einfaches Miniaturkraftwerk, in dem Kohle verbrannt werden sollte, um Strom für die Häuser zu erhalten. Außerdem kaufte die Kirche Waffen. Viele Waffen. Haskell schätzt, dass die Stadt über genügend Munition verfügt, um »ein kleines Land wie etwa Costa Rica oder so« zu besiegen. Darüber hinaus entwarf Maskin eine eigene Verfassung, die das Gesetz regeln sollte, nach dem seine Leute leben würden. Sollte sich jemand deaktivieren lassen, so würde das nicht mehr nur eine einfache Bestrafung nach sich ziehen. Es würde mit dem Tod bestraft werden.
All diese Dinge gingen natürlich ohne das Wissen und ohne die Einwilligung des Staates Idaho vonstatten. Maskin zögerte die Fertigstellung der Stadtmauer absichtlich so lange hinaus, bis alle Vorräte eingelagert waren. Am Ende wurde jener Abschnitt gebaut, der die Route 30 von beiden Seiten abschnitt. Kurz nachdem der Bau der Mauer im April dieses Jahres abgeschlossen war, erhielt der Staat von keinem einzigen Einwohner von Soda Springs eine Einkommenssteuererklärung. Maskins Plan zu Abspaltung der Stadt war in seinen Augen nun abgeschlossen. Soda Springs gehörte nicht mehr länger zu den Vereinigten Staaten von Amerika. Es war nun eine eigene, unabhängige Republik, die sich selbst nach ihren eigenen Wünschen verwalten konnte.
Es ist wohl überflüssig zu erwähnen, dass die Generalbundesanwältin der Vereinigten Staaten, Carol McAvoy, die Sache etwas anders sieht.
»Soda Springs ist nach wie vor ein Teil der Vereinigten Staaten von Amerika, und die Bürgerinnen und Bürger der Stadt, die sich absichtlich zu diesem Steuerbetrug entschlossen haben, werden offiziell als Gesetzesbrecher behandelt.«
McAvoy gibt jedoch zu, dass es eine heikle Angelegenheit sei, eine ganze Stadt strafrechtlich zu verfolgen, vor allem, wenn sich diese hinter einer Schutzmauer verschanzt.
»Wir wollen nicht, dass sich die Fehler der Vergangenheit wiederholen«, sagt sie und bezieht sich damit auf die gewaltsamen Vorfälle ins Waco, Ruby Ridge und zuletzt auch in Elephant Butte, New Mexico, die allesamt keine Lösung hervorgebracht hatten. »Soda Springs stellt für uns den sprichwörtlichen Riss im Damm dar. Wenn wir einzelnen Städten erlauben, sich von der Union abzuspalten, wenn wir es als zu unwichtig einstufen oder meinen, die Sache sei zu weit weg, um sich darum zu kümmern, dann öffnen wir anderen, größeren Städten Tür und Tor, um dasselbe zu tun. Menschen haben für diese Union gekämpft und haben für sie ihr Leben gelassen. Wir werden Vorgänge wie diese nicht einfach so hinnehmen.«
Im Augenblick sieht es jedoch ganz danach aus, als würde die Regierung nichts gegen die Abspaltung von Soda Springs unternehmen. Es sind keine Truppen der Nationalgarde mehr übrig, um die Stadt zu stürmen, da alle Reserveeinheiten derzeit entlang der Golfküste und im südlichen Florida stationiert sind. Im Juli fuhr ein Team des FBI zu der Mauer und verlangte Einlass. Als ihnen Bill Haskell den Zutritt verwehrte, versprachen sie, das nächste Mal mit einem Hubschrauber wiederzukommen. Sie wurden nie wieder gesehen.
»Weil sie Feiglinge sind«, sagt Haskell. »Sie wissen, welche desaströsen Auswirkungen die Vorgänge in Elephant Butte auf ihre Reputation hatten, und sie wissen verdammt gut, dass es zu einem noch größeren Kampf kommen wird, falls sie versuchen, in unsere Stadt einzudringen. Und warum sollten sie mit uns kämpfen, wenn bereits die Russen darauf warten, in unser Land einzufallen und uns alle umzubringen?« Sein zufriedenes Lachen dringt durch das Telefon. »Prophet Maskin ist ein absoluter Visionär. Er hatte einen perfekten Plan, und er hat ihn so perfekt umgesetzt wie nur möglich. Er wusste, dass die Vorstellung der Vereinigten Staaten von Amerika irgendwann keinen Sinn mehr machen würde, und er plante unsere Abspaltung genau zum richtigen Zeitpunkt. Denn warum sollte ich noch Amerikaner sein wollen? Warum sollte ich dreißig Prozent meines Einkommens abgeben, um irgendeinem drogenabhängigen Nigger für die nächsten tausend Jahre die Sozialhilfe zu sichern? Was kümmern mich die Menschen in Kalifornien? Oder Florida? Oder New York?
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