Die Unsterblichen: Roman (German Edition)
schließen lassen.
Ich bin einer von fünfzig Beschäftigten, die noch immer am Markt von Hunt’s Point in der Bronx arbeiten. Die Inspektoren warten, bis die Schiffe entladen werden und sie die Ware überprüfen können. Man kann sie nicht umgehen. Ein Typ versuchte einmal, Thunfisch in einem Taucheranzug zu schmuggeln, und wurde geschnappt. Wenn sie Thunfisch, Seebarsch oder Austern oder etwas Ähnliches entdecken, das auf der Roten Liste steht, dann verliert man sofort seine Lizenz und seinen Job. Einem meiner Freunde ist vor einem Jahr genau das passiert. Man spielt keine Spielchen mit diesen Typen.
Wenn man tatsächlich Thunfisch schmuggeln will, dann müsste man den Fisch, den man im Atlantik gefangen hat, in den illegalen Hafenanlagen entladen, die Hunderte Meilen von hier entfernt sind. Und dort wird Thunfisch zur Gänze für private Zwecke verwendet. Nicht EIN Stück davon würde öffentlich in einem Restaurant verkauft werden. Die meisten Fischer, die ich kenne, lassen sich jedoch gar nicht davon beeindrucken. Sie laden einfach sämtliche Meerestiere, die auf der Roten Liste stehen, mitten auf dem Meer auf europäische Boote um, die sie schließlich nach Russland liefern. Sie haben ganze Schiffsladungen voll Bargeld dabei und sind immer zu einem Handel bereit. Man kann bis zu 40.000 Dollar für 25 Pfund Fisch bekommen, und sie übernehmen sämtliche Haftungen. Das ist die einleuchtendste Art, den Fang loszuwerden.
Bei dem Thunfisch, der in diesem Restaurant verkauft wurde, handelte es sich vermutlich um Kabeljau oder, noch schlimmer, um eines dieser modernen Thunfischimitate, die mittlerweile überall verkauft werden. Du willst sicher nicht wissen, woraus dieser Müll gemacht wird.
Wenn man bedenkt, dass das Restaurant in diesem Fall nicht die Wahrheit gesagt hat, dann kann man davon ausgehen, dass die Schokolade ebenfalls nicht echt gewesen sein dürfte. Oder es war eine dieser Schokoladensorten mit einem sehr geringen Kakaoanteil. So wie diese spezielle Schokolade, die sie in den Feinkostläden in den Glasvitrinen ausstellen. Sämtliche Schokolade, die den von der Zulassungsbehörde vorgeschriebenen Kakaoanteil von 10 % überschreitet, wandert sofort auf den russischen Schwarzmarkt. Denke also immer daran: Wenn du Nahrungsmittel, die auf der Roten Liste stehen, für einen Haufen Kohle angeboten bekommst – Thunfisch, Schokolade mit hohem Kakaoanteil, Vanilleschoten –, dann sitzt du vermutlich einem Schwindel auf.
Wenn du allerdings einmal einen echten Thunfisch essen möchtest, dann kenne ich da jemanden. Du brauchst es nur zu sagen.
GEÄNDERT AM:
02.11.2030, 23:34 Uhr
»Tut es weh?«
Gestern wurden die Nähte entfernt. Ich fuhr mit den Fingern über die Zahlen auf meinem Arm. Sie ragten empor, und das Datum war nun erhaben, wie auf einer ausgefallenen Visitenkarte. Ich zeigte es Alison, als wir nach dem Abendessen zurück in meine Wohnung kamen.
»O mein Gott, John!«
»Ja, es sieht nicht gerade hübsch aus.«
Sie fuhr mit den Fingern über die Schnitte. Fast hätte ich geglaubt, dass die Narben verschwinden würden, sobald sie meine Haut berührte.
»Tut es weh?«, fragte sie.
»Es kommt darauf an, wer es anfasst.«
»Tut es jetzt weh?«
»Nein. Jetzt gerade fühlt es sich eigentlich ziemlich gut an.«
»Spannst du deinen Bizeps gerade an?«
»Nein.«
»Doch!«
»Ich schwöre bei Gott, dass ich es nicht tue.«
»Doch, ein kleines bisschen schon.«
Sie strich weiter über die Narbe, als wäre es ihre eigene. »Ich kann nicht glauben, dass dir das passiert ist, nachdem wir uns getroffen hatten. Ich fühle mich schrecklich. Als ob ich Unglück bringen würde«
»Du bringst doch kein Unglück.«
»Doch, das tue ich.« Ich sah zu, wie sich ihr Gesicht verfinsterte, als sie sich ihren traurigsten Erinnerungen hingab. »Mein Vater hat meine Mutter einen Monat nach meiner Geburt verlassen. Habe ich dir das jemals erzählt?«
»Ja, das hast du.«
»Und eine Woche nach unserer Hochzeit hatte mein Ex-Mann einen Autounfall. Er hat sich fünf Wirbel gebrochen. Danach hatte er vierundzwanzig Stunden am Tag Schmerzen. Kein Schmerzmittel half. Er konnte nicht schlafen. Er konnte keine zehn Schritte gehen, ohne vor Schmerzen zusammenzubrechen. Der Schmerz machte ihn ständig wütend. Wütend auf mich. Wütend auf Gott. Wütend auf alles. Ich weiß, dass es irrational ist, mich dafür verantwortlich zu fühlen. Doch die Art, wie er mich ansah, während er sich im Bett hin und her wälzte
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