Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Unsterblichen: Roman (German Edition)

Die Unsterblichen: Roman (German Edition)

Titel: Die Unsterblichen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ketil Bjørnstad
Vom Netzwerk:
schließlich.
    »Tut mir leid, junge Dame, aber wir haben keines.«
    »Es gibt keines? Aber es stand doch in der Informationsmappe.«
    »Heute nur à la carte. Vielleicht morgen.«
    »Warum?«
    »Die Fans der White Socks checken heute ein. Und das sind viele.«
    Also die Finanzkrise, dachte Thomas. Ihm war auch aufgefallen, daß am Vorabend Potter’s Bar hinter der Rezeption geschlossen gewesen war.
    »So ist das, Annika«, sagte Thomas. »Die Arbeitslosigkeit in dieser Stadt nimmt ständig zu.«
    »Das erinnert an Saul Bellow«, sagte Elisabeth. »Eine Welt, die langsam, aber sicher aus den Fugen gerät. Die Industrie in dieser Region ist außerdem völlig am Ende.«
    »Und deshalb sind wir hergekommen?« fragte Line lakonisch.
    »Herrlichkeit und Abstieg eines Landes«, fuhr Elisabeth fort. »Jetzt ist Europa an der Reihe, billigen amerikanischen Luxus zu kaufen. Ein ständiges Hin und Her. Nichts ist dauerhaft. Die Jagd nach Glück, die so viele von uns in den Abgrund führt.«
    »Und wer sind die White Socks?« fragte Annika etwas genervt.
    »Der Baseballclub«, antwortete Elisabeth. »Der Stolz der Stadt.«
    »Woher weißt du das alles, Mama?«
    »Weiß man etwas über Saul Bellow, dann weiß man eine Menge über Chicago. Laßt uns bestellen.«
    Sie bekamen Wasser mit Eisstücken in großen Gläsern. »Igitt, das schmeckt nach Chlor«, rief Line.
    »Wir können Wasser in Flaschen bestellen«, sagte Elisabeth. Thomas merkte, wie beschwingt sie war, die Atmosphäre genoß, sich von nichts und niemand beirrenließ. Sie bestellten aus der riesigen Speisekarte. Eier in allen Arten der Zubereitung. Thomas nahm einen großen Schluck Wasser und spürte erleichtert, wie das Herz vom Kälteschock in normalen Sinusrhythmus überging. Aber dann fiel ihm ein, daß das zu schnell war. Ein Puls von über hundertfünfzig, der wie ein Pingpongball nach allen Seiten hüpfte oder wie bei diesen Spielautomaten, in denen ein Ball im Zickzack hin und her knallte. Obwohl er es noch nie gehabt hatte, wußte er, daß das Kammerflattern begonnen hatte.
    »Was ist los, Papa?« Annika schaute ihn besorgt an.
    »Nichts. Das Wasser schmeckt tatsächlich nach Chlor.« Es war eine Zeitfrage, bis er mit der Wahrheit herausrücken mußte, dachte er. Aber noch hielt er es aus. Flattern war noch schwieriger mit Medikamenten zu kontrollieren als Flimmern. Das Flecainid hatte das Flimmern beseitigt, bescherte ihm aber eine andere Rhythmusstörung. Er verspürte einen Anflug von Panik. Nur eine elektrische Kardioversion würde ihm jetzt helfen. Einfinden mit nüchternem Magen. Fünfzehn Minuten Vollnarkose mit Propophol. Dasselbe Arzneimittel, an dem Michael Jackson starb. Einige gewaltige Stöße und schwupp – wieder normaler Sinusrhythmus. Aber das konnte er nicht machen, während sie in Chicago waren. Er mußte warten, bis sie wieder nach Hause kamen. Außerdem war das nicht so einfach. Er sollte vorher mindestens drei Wochen Marevan genommen haben.
    »Hört zu«, sagte Line, verdrehte die Augen gen Himmel und las aus der Hotelbroschüre vor. »Im September achtzehneinundsiebzig öffnete dieses Hotel für Gäste. Dreizehn Tage später brannte es ab. The Great Chicago Fire. Oder wie es hier steht: ›Die böseste Stadt der Welt war in Schutt und Asche gelegt.‹ Sind sie hier so böse, Mama?«
    »Das genau war es ja, worüber Bellow schrieb«, sagte Elisabeth und lächelte. »Chicago als Abbild der Welt, der Gesellschaft, der Zivilisation, der wir angehören. Wir sind alle Glücksritter. Aber welche Mittel setzen wir ein, um das Glück zu erlangen?«
    »Und darüber schreibt er?«
    »Unter anderem.«
    »Aber hört weiter«, sagte Line eifrig. »Potter Palmer, der dieses Hotel erbaute, fuhr nach St. Louis und ging zu einer Bank. Er bat um einen Kredit von siebzehn Millionen Dollar, ohne eine andere Sicherheit als seine Unterschrift.«
    »So läuft es noch immer in diesem Land«, nickte Elisabeth Dahl.
    »So läuft es bei uns auch«, sagte Annika und verdrehte die Augen. »Denkt nur an die Kaufleute und die Romsdalfischer. Man verdient nicht eine Milliarde oder zehn, wenn man nicht irgendwann jemanden betrogen oder bestohlen hat. Ja, möglichst viele betrügen oder bestehlen, das ist es.«
    »So hätte es auch Bellow ausdrücken können«, sagte Elisabeth.
    »Hier steht nicht, wen Potter Palmer betrogen hat«, fuhr Line fort. »Er baute jedenfalls dieses Hotel in Rekordzeit wieder auf, im Wettlauf mit dem Grand Pacific Hotel. Als er verlor,

Weitere Kostenlose Bücher