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Die Unsterblichen: Roman (German Edition)

Die Unsterblichen: Roman (German Edition)

Titel: Die Unsterblichen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ketil Bjørnstad
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nicht gejammert. Aber er brauchte die kleinen Abwechslungen. Wer brauchte die nicht? Die ganze Gesellschaft war auf Konsum eingestellt. Sich hastig sein Quantum Glück kaufen. Machten sie nicht genau das jetzt in Chicago?
    Er erzählte Vater von Tulla, obwohl das nicht nötig gewesen wäre, aber er tat es, obwohl er sah, daß Annika demonstrativ ihren Kenzo-Schal und die Jacke auszog, sich im andern Zimmer aufs Bett setzte und den Fernseher einschaltete. Er hörte, daß der Vater ungläubig reagierte, als sei es unvorstellbar, daß Tulla, ausgerechnet Tulla, einen Schlaganfall bekam. Gordon fragte den Sohn aus, wollte aus ärztlicher Sicht wissen, was davon zu halten war. Jetzt begann auch Elisabeth ungeduldig zu werden, ohne etwas zu sagen. Er merkte es nur an ihren rastlosen Bewegungen. Aber er mußte ja noch die Mutter anrufen. Bergljot. Mehrmals mußte er dem Vater versprechen, auch sicher in einer Woche zurück in Oslo zu sein, erst dann konnte er sich verabschieden und das Gespräch beenden.
     
    Im Pflegeheim gingen sie nicht immer ans Telefon. Besonders am Wochenende war es fast unmöglich, eine Verbindung zu bekommen. Aber wenn er Glück hatte, würde jemand das Mobiltelefon abnehmen und bei Bergljot Brenner klopfen, damit der Sohn mit ihr sprechen konnte. Nach langem Läuten und dem Knistern in der Leitung hörte er Leilas Stimme:
    »Sie wollen mit ihr sprechen?«
    »Ja bitte.«
    Es vergingen noch ein paar Minuten, dann hörte er die Stimme der Mutter. Sie war jedesmal dankbar, wenn er anrief.
    »Besuchst du mich heute?«
    »Nein, ich bin in Amerika, Mutter.«
    »Ach ja, stimmt.«
    Sie fragte ihn, wie es ihm gehe. Er erzählte ihr von Tulla.
    »Ja, wir werden zu alt«, sagte sie.
    Er protestierte. Sie mochte es, wenn er das tat. Es wurde zu einer Art Spiel. Die gleichen Sätze immer wieder. Aber er merkte, daß sie sich freute, seine Stimme zu hören.
    »Du mußt mir beim nächsten Mal, wenn du kommst, ein Schrägband mitbringen.«
    »Was ist ein Schrägband, Mutter?«
    Elisabeth drehte die Augen gen Himmel, streichelte aber mit den Fingern seinen Nacken.
    »Ich brauche es zum Nähen«, sagte Bergljot. »Das Nähen habe ich nicht aufgegeben.«
    »Ich weiß, Mutter. Aber wo gibt es in Oslo einen Kurzwarenladen?«
    »Unten im Hedgehaugveien«, sagte sie sofort. »Auf der linken Seite, wenn du von oben kommst.«
    »Besorge ich nächste Woche«, antwortete er. »Versprochen.«
    Als er endlich auflegen konnte, sah er, daß zwei Stunden vergangen waren, seit sie zu telefonieren begonnen hatten. Sein Puls lag unverrückbar bei 160. Ein total verwirrtes Herz, dachte er. Wie sollte er unauffällig Mrs. Schwartz treffen?
    »Tut mir leid, Mädels«, sagte er. »Aber jetzt sind wir unwiderruflich bereit für Chicago.«
     
    Sie machten das Zeichen für Sieg, zogen ihre Jacken über. Die Nachricht von Tullas erneutem Anfall hatte Elisabeths Unternehmungsgeist nicht zu dämpfen vermocht.
    »Jetzt wollen wir uns die Stadt ansehen«, sagte Elisabeth voller Energie.
    Sie hatten ihre dicksten Winterklamotten angezogen.
    »Meine Stadt. Ey, meine Stadt«, sang Annika aufgekratzt.
    »Wo wohnste nu?« parierte Line.
    »Wir nehmen den Stadtführer mit«, sagte Elisabeth.
    »Fein«, sagte Thomas Brenner. Dabei brauchte sie keinen Stadtführer. Sie kannte diese Stadt in- und auswendig.
    Auf dem Weg zum Aufzug kamen sie bei der Concierge vorbei. Er wechselte einen Blick mit Mrs. Schwartz. Sie nickte ihm unauffällig zu. Im Fahrstuhl gab er vor, seine Brieftasche im Zimmer vergessen zu haben, und schlüpfte hinaus, kurz bevor sich die Türen schlossen. »Ich komme gleich nach«, sagte er und vergewisserte sich, daß der Fahrstuhl nach unten fuhr.
    »Panwarfin habe ich bekommen«, sagte sie und griff nach einer kleinen Schachtel unter ihrer Theke.
    »Sie sind ein Engel«, sagte er.
    »Ich setze es auf Ihre Hotelrechnung.«
    Er nickte dankbar, legte aber trotzdem einen Hundertdollarschein auf ihre Theke. Sie ließ den Schein sofort unauffällig verschwinden. Er ging ans Büfett, nahm ein Glas Wasser und schluckte einige der Tabletten, fuhr dann mit dem Aufzug ins Erdgeschoß und stieg auf der Prachttreppe hinunter auf die Straße. Dort standen die anderen und warteten auf ihn.
    »Das Crillon könnte nicht imposanter sein«, murmelte Thomas.
    »Dort servieren sie wenigstens kein Chlorwasser«, sagte Annika.
    »Meine Güte, mußt du dich schon wieder beschweren?«
    Er versuchte sich zu erinnern, wann sie das letzte Mal alle zusammen so

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