Die Unsterblichen: Roman (German Edition)
und neugierig.
»Weil schminken und solche Dinge weiblich sind«, fuhrAnnika fort. »Solange wir Make-up und Lippenstift benutzen, müssen wir verdammt noch mal auch unser Haar färben. Wenn wir das nicht tun, sehen wir ja aus wie … Maggi.« Sie spielte auf ihre Silberschmiedin an.
»Und was dann?« fragte Thomas.
»Dann siehst du aus wie eine Hexe. Frauen mit grauem Haar, das ist so was von unerotisch!« Thomas Brenner sah, daß Elisabeth beim Sprachgebrauch der Tochter zusammenzuckte. Aber Annika war immer für eine Überraschung gut.
»Unerotisch?« wiederholte Thomas.
»Ja«, sagte Annika pikiert. »Das sieht aus, als hätten sie nie mit jemandem geschlafen, als wären sie schon immer alt gewesen, wenn du verstehst, was ich meine.«
Thomas und Elisabeth nickten beide, ohne das Problem zu vertiefen. In gewisser Weise verstand Thomas, was die Tochter meinte, aber er weigerte sich, weiter darüber nachzudenken. »Vielleicht ist das mit dem Sex wichtiger, als wir glauben«, sagte er etwas unsicher. »Nehmt doch mal Jane Fonda …«
»Sie färbt ihr Haar!«
»Ja, genau. Und sie wird in zwei Monaten zweiundsiebzig …«
»Oho, du kennst ihren Geburtstag?«
»Ich muß gestehen«, sagte Thomas mit einem Lächeln, »daß Jane Fonda nach deiner Mutter zu den Frauen gehört, deren Leben mich sehr beschäftigt hat.«
»Papa hat einen guten Geschmack«, lächelte Elisabeth. Jetzt war er an der Reihe, einen zärtlichen Klaps auf die Schulter zu bekommen.
»Und«, fuhr Thomas fort, »sie stellt sich zusammen mit ihrem Mann hin und sagt, daß es ihr, physisch gesehen, noch nie so gut gegangen ist.«
»Quatsch«, sagte Annika.
»Warum nicht?« sagte Thomas und zuckte die Schultern, wohl wissend, daß er sich auf schwankendem Boden bewegte, aber sowohl er wie Elisabeth wollten Annika ab und zu unter Druck setzen, wollten über Dinge reden, die ihr unangenehm waren, vor allem, um sie damit als Erwachsene zu behandeln. Aber sie weigerte sich, erwachsen zu werden.
»Ja, ich habe es in der Zeitung gelesen, und es war widerlich. Sie brüsteten sich damit, wieviel und wie lange sie Sex hatten. Bis zu eineinhalb Stunden.« Sie sagte es auf ihre altklug-naive Weise, fügte aber mit einem Seufzer hinzu: »Und trotzdem mag ich sie, ich auch.«
»Weil sie aussieht wie Mama?«
Ihre Augen strahlten. »Ja, genau deshalb!«
»Sie hat schon alles richtig gemacht«, sagte Elisabeth Dahl, und Thomas stellte fest, daß sie ihre intellektuelle Stimme benutzte, die er immer bewundert hatte. »Nur schade, daß nicht immer ein Zusammenhang erkennbar ist. Sie begann als Model, wurde dann Schauspielerin, politische Aktivistin, Fitneß-Guru, Kapitalistin, erneut politische Aktivistin und ist jetzt, kaum zu verstehen, Christin.«
»Meine Güte, du weißt ja mehr über sie als ich!« staunte Thomas.
»Vielleicht, weil sie für viele Frauen eine Ikone ist.«
»Sie ist mir am besten als Barbarella in Erinnerung«, erklärte Thomas.
»Aber da hatte sie doch pausenlos Sex«, sagte Annika verlegen und errötete.
»Sie ist jedenfalls ein Freiheitsideal«, sagte Elisabeth.
»Vielleicht für Mildred Låtefoss indirekt ein Vorbild?« fragte Annika.
»Wer weiß«, sagte Thomas. »Sie gehört zu der Kategorie, von der ich gesprochen habe. Nennen wir sie die Unsterblichen.«
»Ich möchte, daß wir alle dazu gehören!« Annika rief es fast.
»Und vielleicht ist es so«, sagte Thomas. »Wir bewegen uns auf eine Altersphase zu, die dauert und dauert. In meiner Arztpraxis sehe ich das immer deutlicher. Die Alten leben und leben.«
»Aber manche sterben ja auch«, sagte Annika fast böse. »Mitten im Leben. Jünger als ihr.«
»An wen denkst du?«
»An die von den Todesanzeigen. Junge Frauen mit Brustkrebs, oft mit drei Kindern, die ständig in den Bergen Ski laufen waren und immer gesund lebten. Ich ertrage das einfach nicht!« Fast flehend schaute sie ihre Mutter an.
»Ich werde nicht an Brustkrebs sterben«, sagte Elisabeth ruhig und strich der Tochter über die Wange.
»Das kannst doch nicht du bestimmen«, sagte die Tochter, den Tränen nahe.
»Es gibt ständig neue Behandlungsmethoden«, sagte Thomas. »Früher starb man an Krebs. Jetzt lebt man damit.«
»Das ist eine Floskel«, sagte Annika. »Es sterben doch andauernd Leute. Jeden Tag steht es in der Zeitung. Sogar ich hatte Freunde, die jetzt tot sind! Herausgerissen aus dem Leben. Da wird einem übel, wenn man liest, daß Jane Fonda mit zweiundsiebzig Jahren ihr Sexleben
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