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Die Unsterblichen: Roman (German Edition)

Die Unsterblichen: Roman (German Edition)

Titel: Die Unsterblichen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ketil Bjørnstad
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war spannend für Gordon Brenner. Und das nicht, weil sich für ihn damit ein persönlicherVorteil ergab. Er war einfach so. Zutiefst fasziniert von der Welt und ihren Menschen. Männer dieser Art bekommen selten die Aufmerksamkeit, die sie verdienen, dachte Thomas. In Romanen und auf der Bühne dagegen sind fast alle Männer Vergewaltiger, Sadisten oder Egomanen. Aber das stimmt ja nicht! Man ist offensichtlich nicht bereit, die Männer so zu sehen und zu akzeptieren, wie sie meistens sind, nämlich Pantoffelhelden, wie man früher gesagt hatte.
    Das Wort allein war eine Gemeinheit. Entwürdigend. Lächerlich. Aber mit genau dieser Art Männer hatte er es in seiner Arztpraxis meistens zu tun. Ja, auch die Mehrzahl der ökonomischen Mittelfeldspieler waren eigentlich im Grunde Pantoffelhelden. Und jetzt bemühte sich der Pantoffelheld Gordon Brenner, nicht die Fassung zu verlieren. Thomas beugte sich herunter zu ihm und umarmte ihn.
     
    »Ich weiß nicht, was ich tun soll, mein Junge«, sagte der Vater. Thomas hätte sagen können, er sollte sich ebenfalls einen Platz im Pflegeheim suchen. Aber er sagte es nicht, es war zwecklos. Das neue Leben hatte begonnen. Gordon ganz allein im Brenner-Haus, solange das möglich war, denn soviel er wußte, konnte der Vater schon morgen rausgeworfen werden, denn er verlor täglich Geld an die Bank, und es war zu spät, um wirksam einzugreifen. Man konnte nur hoffen, daß der eine oder andere der Mittelfeldspieler bei Aktienspekulationen Glück hatte, aber Thomas machte sich keine großen Hoffnungen.
    »Ich muß aufs Klo«, rief der Vater plötzlich. Das kam im rechten Augenblick, dachte Thomas. Nun blieb ihnen erspart, über das Wesentliche zu reden.
    »Ich helfe dir«, sagte Thomas.
    Aber es war gar nicht einfach, den Vater aus dem Sesselzu holen, denn Gordon Brenner war um einiges schwerer als die Mutter. Thomas half von hinten nach, und schließlich stand er schwankend da, bis er ihm den Rollator gebracht hatte und der Vater glaubte, es jetzt selbst zu schaffen. Aber das war nicht der Fall. Er hatte häufig Schwindelanfälle und konnte jederzeit stürzen, genau wie seine Frau. Das Erschreckendste am Zustand beider Eltern war, daß ihnen eigentlich nichts fehlte, dachte Thomas. Abgesehen vom Alter. Sie hatten kein Parkinson, keinen Diabetes, keinen Krebs und keinen Herzinfarkt. Die Mutter hatte allerdings eine beginnende Osteoporose, und das war ernst genug. Aber medizinisch gesehen bestand das Hauptproblem darin, daß sie alt waren. Und höchstwahrscheinlich würden sie noch viele Jahre alt sein, und die einzigen Symptome ähnelten denen, die auch Thomas hatte: plötzliche Schwindelgefühle und Schweißausbrüche. Die entsprechenden Medikamente verhinderten die Schlaganfälle, die sie von einem Augenblick zum nächsten direkt in den Himmel befördern würden. Ach, so viele Krankheiten! Und so viele Krankheitsgeschichten. Ängste vor Leiden, die sie vielleicht nie bekommen würden. Im Verhältnis zu manch anderem war Gordon Brenner frisch wie ein Fisch, wie er jetzt unter ständigem Furzen mit dem Rollator Richtung Toilette davonstampfte. Es war inzwischen sein Geruch, der am schwersten zu ertragen war, dachte der Sohn. Obwohl der Vater sich Tag für Tag sorgfältig um sein Äußeres kümmerte, war in letzter Zeit eine Ausdünstung von seinem Körper ausgegangen, an der meistens die übervolle Windel schuld war. Vermutlich war auch jetzt seine Windel vollgesogen mit Urin. Thomas wußte, daß er ihn waschen mußte. Anfangs hatte der Vater das nicht gewollt, inzwischen verlangte er es geradezu. Er mochte es, gepflegt zu werden. Er ergab sich dem Kreislaufdes Lebens. Nudus regressis. Nudus revertar. Nackt bist du gekommen, und nackt wirst du gehen.
    Thomas Brenner dachte an den genialen Versuch John Donnes: Eine Landkarte nehmen und sich Osten und Westen als die zwei äußersten Punkte auf der Karte betrachten. Und dann: Die Karte krümmen, bis sie der Form der Erde gleicht. Da werden plötzlich Osten und Westen zusammentreffen. Aus den zwei Außenpunkten wird einer! Und so ist es ja auch im Leben. Das Neugeborene und der Sterbende treffen einander in der gleichen Form und benehmen sich ähnlich. Die Hilflosigkeit ist die gleiche. Das Verlangen nach Fürsorge ist gleich groß.
     
    »Es ist dringend!« rief Gordon Brenner. Aber sie konnten nicht schneller. Der Vater wackelte steifbeinig mit kurzen Schritten vorwärts.
    »Es besteht keine Lebensgefahr«, sagte Thomas mit einem

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