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Die Unsterblichen: Roman (German Edition)

Die Unsterblichen: Roman (German Edition)

Titel: Die Unsterblichen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ketil Bjørnstad
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Menschen auf einmal zu sehen. Gewöhnlich kamen die Menschen einzeln zu ihm und waren krank. Diese hier waren sicher auch nicht gesund, dachte er. Hoher Blutdruck unter Make-up und Gesichtscreme. All das Weißmehl, die riesigen Baguettes mit Hühnchen und Mayonnaise, obenauf einige Körner, um das Elend zu schmücken. Zuckerwasser in allen Farben. Der Geruch nach Würstchen, Pizza und Gebäck. Gerötete, verlebte Gesichter. Die Bevölkerung war im Schnitt um fünf Kilo schwerer als in seiner Jugend. Aber war er zu einer Anklage befugt, mit seiner Annika? Würde es ihr gelingen, sich zwischen die Armlehnen des Sitzes zu pressen? In jedem Fall würde sie den speziellen Sicherheitsgurt brauchen, der sonst Müttern mit Kleinkindern vorbehalten war.
    Der Flieger würde voll werden. SAS hatte bereits Handgeld angeboten für jeden, der auf diesen Flug verzichtete, weil die Maschine überbucht war. »Was ist denn das für ein Kapitalismus«, hatte Elisabeth geflüstert. »Den Fuchs schießen und das Fell dann mehrmals verkaufen?« Obwohl sie nach Amerika wollte, erwachte die linke Radikale in ihr. Er antwortete nicht. Auf ihn wirkte alles viel freudloser als früher, in Zeiten, in denen man noch Reisefieber hatte. Gestreßte Menschen. Blinde Hektik. Er legte den Arm um Elisabeth und flüsterte: »Vergiß nicht, wir wollen nach Chicago.« Sie küßte ihn auf die Wange. Die Töchter drehten sich um, betrachteten zufrieden die Eltern. Sie mochten diesen Austausch von Zärtlichkeiten, fühlten sich zurückversetzt in ihre Teenagerzeit, waren wieder Mamas und Papas Klein-Annika und Klein-Line. Er sah, daß besonders Line urlaubsreif war. Ringe unterden Augen, im Tanzinstitut schien es nicht so zu laufen, wie es sollte. Aber er wagte nicht zu fragen. Alle sind froh, wegzukommen, dachte er. Ein sündiges, aber befreiendes Gefühl. Sie hatten kein Wort über Tulla verloren.
     
    Thomas hatte alle Bordkarten in der Hand. Sie flogen die billigste Touristenklasse, mußten in der Boeing 737 ganz nach hinten. Dort hatten sie einen Dreisitzer und einen Platz auf der anderen Seite des Mittelgangs. Er verhielt sich ruhig, als die Töchter und Elisabeth diskutierten, wer wo sitzen sollte. Sie einigten sich darauf, daß Annika den Platz allein auf der anderen Seite des Mittelganges nahm. Sie hatte es selbst vorgeschlagen.
    Thomas wartete, bis sich Line und Elisabeth gesetzt hatten, weil er der größte war. Die schlanke Line hatte kein Problem mit ihrem Sitzplatz. Schlimmer war es mit Annika. Mit einem kleinen Seufzer plumpste sie auf ihren Sitz. Das Fleisch quoll über die Armlehnen. Außerdem hatte sie sich zu früh hingesetzt. Zwei junge Frauen, ebenso dick wie sie, hatten die Sitze neben ihr. Sie mußte wieder aufstehen, warf Thomas einen Blick zu und tauschte den Platz mit ihm. Nun konnte sie sich an die dünne Line lehnen, und Thomas mußte sich auf der andern Seite klein machen.
    Nach dem kurzen Flug von Oslo nach Kopenhagen mußten sie von Terminal B nach Terminal C laufen, wo die Paßkontrolle für die Flüge nach Asien und Amerika war. Annika hatte nicht einmal Zeit, die herrlichen dänischen Würstchen mit Senf und warmem Brötchen zu essen, auf die sie sich gefreut hatte. Auch an Bord des Airbus, wo alles noch enger war, hatten sie ihre Plätze fast ganz hinten. Elisabeth ließ sich nichts anmerken, aber er wußte, daß sie mit ihrer Erfahrung aus Telenor-Zeiten bessere Plätzehätte reservieren lassen. Sie war nun mal in solchen Dingen professioneller, während er stundenlang am PC gesessen hatte, bis die Tickets bestellt waren, und sogar nach Bestätigung der Reservierung war er nicht sicher, ob alles so war, wie es sein sollte.
    Am Vortag hatte er geglaubt, der Flimmeranfall sei vorüber, aber das traf nicht zu. Nachts kam er um so stärker wieder. Als er am Abreisetag erwachte, wußte er, daß er sich der Zweitagesgrenze näherte. Er müßte Marevan nehmen, ein feineres Wort für Rattengift, aber perfekt zur Blutverdünnung. Bei Menschen wußte man meistens, welche Dosierung man anwenden mußte. Das bedeutete aber, daß die Blutwerte anfangs jeden zweiten Tag kontrolliert werden mußten. Wurde das Blut zu dünn, bekam man innere Blutungen, war das Blut zu dick, bestand die Gefahr einer Thrombose. Deshalb nahm er lieber Albyl-E. Er hatte gehofft, daß der Flimmeranfall vorübergehen würde, wenn er erst im Flieger saß und zur Ruhe kam. Er versuchte, nicht mehr daran zu denken. Während die Maschine zur Startbahn rollte,

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