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Die Unsterblichen: Roman (German Edition)

Die Unsterblichen: Roman (German Edition)

Titel: Die Unsterblichen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ketil Bjørnstad
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schloß Thomas Brenner die Augen und versuchte, tief und ruhig zu atmen. Wie wenig er eigentlich über das Vorhofflimmern wußte. Die lang anhaltenden Anfälle begannen ihn zu beunruhigen. Er hatte Patienten gehabt, die durch die Krankheit lebensunfähig wurden. Dann konsultierte er immer die Spezialisten, die Tambocor und Cordarone empfahlen. Aber das waren Medikamente, an denen man sterben konnte. Tambocor führte im schlimmsten Fall zu Ventrikelflimmern, und dann war es in Sekunden aus. Cordarone führte zu Augen- und Lungenproblemen und einem unkontrollierten Stoffwechsel.
    Sollten solche Medikamente in den folgenden Jahren seinen Alltag bestimmen? Ach, dachte er deprimiert,weder er noch Elisabeth durften jetzt ausfallen, solange die Töchter so unselbständig waren und die Alten Hilfe brauchten. In letzter Zeit hatte er sich des öfteren gefragt, ob er Angst davor hatte, zu sterben. Ja, hatte er gedacht. Davor hatte er Angst. Nur die Dümmsten verneinten diese Frage. Für ihn war es nach wie vor unvorstellbar, eines Tages nicht mehr dazusein. Denn an einen Gott konnte er nicht glauben, solange die Hierarchie der Weltreligionen dem korrupten politischen Leben zum Verwechseln ähnlich sah. Die naiven Geschichten von übernatürlichen Jenseitsidyllen, die ihn daran erinnerten, wie er bei Bergljot auf dem Schoß saß und sie ihm Weihnachtslieder vorsang, versetzten ihn höchstens in eine angenehme Stimmung. Besonders Johann Sebastian Bachs Werke der Kirchenmusik mit ihren christlichen Texten rührten ihn. Aber auch Minarett-Gesänge konnten ihn bewegen. Ganz zu schweigen vom Zauber hinduistischer Geschichten oder den seltsamen Ritualen der Katholiken. Überboten wurde all das vom Buddhismus mit seinen fantastischen Meditationsübungen und den fehlenden hierarchischen Drohungen. Aber der Buddhismus war ja eigentlich keine Religion. Daran mußte man nicht glauben. Alle Gläubigen strebten danach, sich der göttlichen Autorität zu unterwerfen und darauf zu vertrauen, daß alles, was von dort kommt, der Wahrheit entspricht. Die Kunst liegt darin, sich klein und unbedeutend zu fühlen und gleichzeitig groß und auserwählt zu sein, um sowohl strenger Gerechtigkeit wie großer Gnade zu begegnen.
    Warum hatte es zwischen ihm und Elisabeth kaum Gespräche über Gott gegeben? Er glaubte an die Sterne. Er glaubte an den Kosmos. Er glaubte an ein Rätsel, eine mögliche Erklärung, eine Transformation, vielleicht sogar einen Geist, aber nicht an die heiligen Schriften. DieBedeutung der Kirche in der Gesellschaft erstaunte ihn. Die ständigen Mißbrauchsfälle bei den Katholiken, all die Gewalt bei den Muslimen, die zunehmende Ohnmacht. Gründe genug, nicht an Hierarchien und Systeme zu glauben.
    Annika und Line lehnten die Kirche schon seit ihrem sechsten Lebensjahr ab. Sie nahmen die Signale der Erwachsenen auf, wurden radikale Atheisten und verfluchten jeden Weihnachtsstern, den sie in der Schule basteln mußten. Als Elisabeth vor etwa zehn Jahren zum ersten Mal erwähnte, daß sie im Buddhismus einen Sinn fände, hatten die Mädchen sie verständnislos angeschaut. Erst als sie den Töchtern erklärte, daß das ja keine Religion sei, konnten sie die Mutter verstehen.
     
    Also kein Gott, dachte Thomas Brenner, als die Maschine abhob. Nur das Nichts?
    Er hatte in Tullas Gesicht gesehen, daß sie ebensolche Angst vor dem Sterben hatte wie er. Und von früher wußte er, daß Kaare womöglich noch ängstlicher war und daß Gordon, sein Vater, fast panisch werden konnte. Nur bei Bergljot hatte er keinerlei Todesangst gesehen. Sie hatte diesen merkwürdigen Ausdruck gebraucht: »Der Tod ist ein Freund.« Aber wie konnte man da sicher sein?
    Die Turbinen des Flugzeugs heulten, und er schloß die Augen und ließ die Gedanken fließen. Sie waren in der Luft! »Airborne«, murmelte Annika glücklich von der andern Seite des Mittelgangs. Ja, jetzt mußte er das Flimmern und die Todesangst wieder vergessen und gute Laune zeigen.
    Er öffnete die Augen. Sein Blick begegnete Elisabeth, die ihm zulächelte. Das Kabinenpersonal (was für ein Wort) hatte bereits begonnen, die ersten Drinks zu servieren. Er mußte geschlafen haben. Das beunruhigte ihn. So müde war er sonst nie. Er konnte es auf das Herzflimmern schieben. Aber Elisabeth war in bester Stimmung. Alkoholische Getränke gab es umsonst, abgesehen vom Champagner, der bezahlt werden mußte. Wie kleinlich, dachte Thomas, bestellte aber Schampus für alle vier. Ein Fest war ein Fest.

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