Die Unsterblichen
seine Hand auf meiner ruht. Dann nicke ich zustimmend; ich weiß, dass das die Antwort ist, die er hören will, auch wenn ich mir nicht sicher bin, ob sie wahr ist.
Die nächsten paar Stunden sind eine verschwommene Abfolge von Unterricht und Verwirrung, und erst als ich zum Lunchtisch komme, erfahre ich die Wahrheit über den gestrigen Tag.
»Ich fasse es nicht, dass ihr wirklich im Wasser wart.« Miles rührt seinen Joghurt um und sieht mich an. »Wisst ihr überhaupt, wie kalt das ist?«
»Sie hatte einen Neoprenanzug an.« Damen zuckt mit den Schultern. »Den hast du sogar bei mir liegen gelassen.«
Ich packe mein Sandwich aus und kann mich an nichts davon erinnern. Ich habe gar keinen Neoprenanzug. Oder doch? »Ah, war das nicht am Freitag?«, frage ich und werde rot, als mir alle Ereignisse dieses Tages auf einen Schlag wieder einfallen.
Damen schüttelt den Kopf. »Am Freitag bist du nicht gesurft, nur ich. Unterricht habe ich dir am Sonntag gegeben.«
Ich schäle die Kruste von meinem Sandwich ab und versuche, mich zu erinnern, doch da ist immer wieder eine Lücke.
»Und, hat sie sich einigermaßen angestellt?«, will Miles wissen. Er leckt seinen Löffel ab und blickt von Damen zu mir.
»Na ja, es waren kaum Wellen, also gab's nicht viel zum Surfen. Hauptsächlich haben wir am Strand rumgelegen, unter ein paar Decken. Und ja, das kann sie ziemlich gut.« Er lacht.
Ich sehe Damen an und frage mich, ob ich unter diesen Decken wohl den Neoprenanzug anhatte oder nicht, und was - wenn überhaupt - da noch passiert ist. Ist es möglich, dass ich versucht habe, ihn für die Abfuhr am Freitag zu entschädigen und das Ganze dann so sehr verdrängt habe, dass ich mich nicht mal mehr daran erinnern kann?
Miles schaut mich mit hochgezogenen Brauen an, doch ich zucke lediglich die Achseln und beiße von meinem Sandwich ab.
»An welchem Strand wart ihr denn?«, fragt er. Da ich es nicht mehr weiß, wende ich mich Damen zu. »Crystal Cove«, sagt dieser und nippt an seinem Getränk.
Kopfschüttelnd verdreht Miles die Augen. »Sagt bitte nicht, dass ihr zu so einem Paar werdet, bei denen der Kerl der Einzige ist, der was sagt. Ich meine, bestellt er im Restaurant auch für dich?«
Wieder sehe ich Damen an, doch ehe er antworten kann, fährt Miles dazwischen. »Nein, ich hab dich gefragt, Ever.«
Ich denke an unsere beiden Restaurantbesuche zurück, der eine an jenem wunderschönen Tag in Disneyland, der so seltsam geendet hat, und der andere auf der Rennbahn, als wir das ganze Geld gewonnen haben. »Ich bestelle selber«, sage ich. Und dann: »Kann ich mir mal dein Handy borgen?«
Er zieht es aus der Tasche und schiebt es mir hin. »Wieso? Hast du deines vergessen?«
»Ja, und ich will Haven eine SMS schicken und sehen, wo sie steckt. Ich habe ihretwegen so ein total komisches Gefühl.« Ich schüttele den Kopf; ich weiß nicht, wie ich es mir selbst erklären soll, geschweige denn den beiden. »Ich kann einfach nicht aufhören, an sie zu denken«, füge ich hinzu, während meine Finger auf der winzigen Tastatur tippen.
»Sie hockt krank zuhause«, sagt Miles. »Irgend 'ne Grippe. Außerdem ist sie traurig wegen Evangeline, aber sie schwört, dass sie uns nicht mehr hasst.«
»Ich dachte, du hast nicht mit ihr gesprochen.« Ich halte inne und blicke zu ihm auf; ich bin mir ganz sicher, dass er das im Auto gesagt hat.
»Ich habe ihr in Geschichte 'ne SMS geschickt.«
»Dann ist sie also okay?« Unverwandt starre ich Miles an; mein Magen ist ein einziges Nervenknäuel, obgleich ich beim besten Willen nicht sagen kann, warum.
»Kotzt sich die Seele aus dem Leib, trauert um ihre Freundin, aber ja, im Großen und Ganzen alles bestens.«
Ich gebe Miles das Handy zurück. Es bringt ja nichts, ihr auf den Wecker zu fallen, wenn es ihr nicht gut geht. Dann legt Damen die Hand auf mein Bein, Miles lässt sich über Eric aus, und ich knabbere an meinem Lunch herum und nicke und lächele beflissen, aber ich werde dieses Unbehagen einfach nicht los.
Ganz klar, das eine Mal, wo Damen beschließt, den ganzen Tag in der Schule zu verbringen, ist rein zufällig genau der Tag, an dem ich mir wünsche, er hätte geschwänzt. Denn jedes Mal, wenn ich aus dem Unterricht komme, steht er angespannt wartend vor der Tür und fragt mich, ob alles okay ist. Und allmählich geht mir das wirklich auf die Nerven.
Als wir also nach dem Kunstkurs zum Parkplatz gehen und er anbietet, mir nach Hause zu folgen, sehe ich ihn
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