Die Unsterblichen
sagt nichts. Er fährt einfach nur den Coast Highway hinauf, vorbei an der Straße, die zu Sabines Haus führt, bis er schließlich vor einem großen, imposanten Tor hält.
»Wo bringst du mich hin?«, will ich wissen und sehe zu, wie er einer Torwächterin zunickt, die mir bekannt vorkommt. Sie lächelt und winkt uns durch.
»Zu mir nach Hause«, brummt er undeutlich und fährt einen steilen Hügel hinauf, ehe er ein paar Mal abbiegt und in eine Sackgasse einbiegt.
Dann nimmt er meine Hand und führt mich durch eine gut ausgestattete Küche ins Wohnzimmer, wo ich mit in die Hüften gestemmten Händen stehen bleibe und seine wunderschönen Möbel auf mich wirken lasse, das genaue Gegenteil von der Studenten-Einrichtung, die ich erwartet habe.
»Gehört das wirklich alles dir?«, frage ich und fahre mit der Hand über ein flauschiges Chenillesofa, während mein Blick über erlesene Lampen, Perserteppiche, eine Sammlung abstrakter Ölbilder und den Couchtisch aus dunklem Holz wandert, auf dem sich Bücher, Kerzen und ein gerahmtes Foto von mir drängen. »Wann hast du denn das gemacht?« Ich nehme das Bild vom Tisch und betrachte es genauer; ich kann mich überhaupt nicht daran erinnern.
»Du tust so, als wärst du noch nie hier gewesen«, meint er und bedeutet mir, dass ich mich setzen soll.
»War ich doch auch nicht.«
»Doch«, beharrt er. »Letzten Sonntag? Nachdem wir am Strand waren? Oben hängt sogar noch dein Neoprenanzug. Und jetzt setz dich.« Er klopft auf das Polster des Sofas. »Ich möchte, dass du dich ausruhst.«
Ich lasse mich auf das weiche Polster sinken. Dabei halte ich das Bild noch immer in der Hand und frage mich, wann es wohl gemacht worden ist. Mein Haar ist lang und offen, mein Gesicht leicht gerötet, und ich trage ein pfirsichfarbenes Kapuzensweatshirt, das ich ganz vergessen habe. Obwohl ich zu lachen scheine, blicken meine Augen ernst und traurig.
»Das habe ich mal in der Schule gemacht. Als du gerade nicht hingeschaut hast. Solche Schnappschüsse sind mir lieber, das ist die einzig mögliche Art und Weise, wirklich das Wesen eines Menschen einzufangen«, erwidert er, nimmt mir das Foto aus der Hand und stellt es wieder auf den Tisch. »Und jetzt mach die Augen zu, und ruh dich aus, ich mache dir Tee.«
Als der Tee fertig ist, drückt er mir eine Tasse in die Hände, dann hantiert er mit der dicken Wolldecke herum und stopft sie um mich herum fest.
»Das ist ja wirklich nett, aber es ist nicht nötig.« Ich stelle die Tasse hin und schaue auf die Uhr. Wenn wir jetzt gleich losfahren, komme ich noch rechtzeitig zur zweiten Stunde. »Wirklich, mir geht's gut. Wir sollten zur Schule zurückfahren.«
»Ever, du bist ohnmächtig geworden«, wehrt er ab, setzt sich neben mich und sieht mir forschend ins Gesicht, während er mein Haar berührt.
»So was kommt vor.« Ich zucke mit den Schultern, denn dieser ganze Aufstand ist mir peinlich, vor allem, da ich weiß, dass alles in Ordnung ist.
»Nicht, wenn ich da bin«, flüstert er, und seine Hand wandert von meinem Haar zu der Narbe über meinem Gesicht.
»Lass das.« Ich entziehe mich ihm, ehe er sie berühren kann, und sehe, wie er die Hände sinken lässt.
»Was ist denn?«, fragt er und mustert mich eindringlich.
»Ich will nicht, dass du dich ansteckst«, lüge ich, weil ich die Wahrheit nicht zugeben will - dass die Narbe mir gehört, mir allein. Eine ständige Erinnerung, die dafür sorgt, dass ich niemals vergesse. Deswegen habe ich den plastischen Chirurgen abgelehnt, habe mich geweigert, sie »wegmachen« zu lassen. Weil ich wusste, dass das, was passiert ist, niemals weggemacht werden kann. Sie ist meine Schuld, mein ganz privater Schmerz, deswegen verstecke ich sie auch unter meinem Pony.
Doch er lacht nur, als er erwidert: »Ich werde nicht krank.«
Kopfschüttelnd schließe ich die Augen, und als ich sie wieder öffne, bemerke ich: »Ach, jetzt wirst du also nicht krank?«
Er hebt die Tasse an meine Lippen und drängt mich zu trinken.
Ich nippe daran, dann drehe ich den Kopf weg, schiebe die Tasse von mir und sage: »Also, schauen wir doch mal, du wirst nicht krank, du kriegst keinen Arger wegen Schuleschwänzen, du kriegst trotz besagtem Schwänzen überall Einsen, du nimmst einen Pinsel in die Hand, und voilá, du malst einen besseren Picasso als Picasso. Du kannst kochen wie ein Fünf-Sterne-Chefkoch, du warst in New York mal Model - bevor du in Santa Fe gewohnt hast, und das war, nachdem du in London,
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