Die Unsterblichen
leere Küchenschränke, ein Kühlschrank voll unzähliger Flaschen mit dieser seltsamen roten Flüssigkeit und sonst nichts. Im Fernsehzimmer entdecke ich den Flachbildfernseher, von dem Riley gesprochen hat, einen Sessel, den sie nicht erwähnt hat, und einen großen Stapel fremdsprachiger DVDs, deren Titel ich nicht übersetzen kann. Dann halte ich am Fuß der Treppe inne; mir ist klar, dass ich verschwinden sollte, dass ich mehr als genug gesehen habe, doch irgendetwas, das ich nicht ganz definieren kann, drängt mich weiter.
Ich umklammere das Treppengeländer und zucke zusammen, als die Stufen unter mir ächzen, ihr schriller Protest klingt in diesem riesigen, leeren Raum erschreckend laut. Und als ich den Treppenabsatz erreiche, finde ich mich der Tür gegenüber, die Riley verschlossen vorgefunden hat. Nur steht sie diesmal einen Spalt breit offen.
Ich schleiche darauf zu und suche nach der Stimme in meinem Kopf, hoffe verzweifelt auf Hilfe. Aber die einzige Antwort, die ich bekomme, ist das Geräusch meines pochenden Herzens, als ich die flache Hand gegen die Tür drücke. Und dann nach Luft schnappe, als sie sich öffnet und den Blick auf einen Raum frei gibt, so überladen, so feierlich, so prachtvoll, dass er geradewegs aus Versailles zu stammen scheint.
Ich verharre im Türrahmen und gebe mir Mühe, dies alles in mich aufzunehmen. Die kunstvoll gewebten Wandbehänge, die antiken Teppiche, die Kristallkronleuchter, die goldenen Kandelaber, die schweren Seidenvorhänge, das Samtsofa, den mit dicken Büchern überhäuften Tisch mit der Marmorplatte. Sogar die Wände; der gesamte Raum ist zwischen der Täfelung und der Stuckleiste unter der Decke mit großen, goldgerahmten Gemälden bedeckt - die alle Damen darstellen, in Kostümen und Trachten, die etliche Jahrhunderte umspannen. Einschließlich einem, das Damen auf einem weißen Hengst zeigt, einen silbernen Degen an der Seite und in genau demselben Rock, den er an Halloween angehabt hat.
Ich trete darauf zu, und mein Blick sucht das Loch an der Schulter, die ausgefranste Stelle, die er scherzhaft als eine Folge von Artilleriefeuer bezeichnet hat. Und ich erschrecke, als ich sie auf dem Bild genau dort finde. Ich streiche mit den Fingern darüber, wie gebannt, wie hypnotisiert. Und ich frage mich, was für ein abgefahrenes, aufwändiges Täuschungsmanöver er da aufgezogen hat, während meine Fingerspitzen an dem Bild hinuntergleiten bis zu dem kleinen Messingschildchen am unteren Rahmen, auf dem steht:
DAMEN AUGUSTE EPOSITO, MAI 1775
Ich wende mich dem Bild daneben zu, und mein Herz rast, als ich das Porträt eines ernsten Damen betrachte, in einen strengen schwarzen Anzug gekleidet und von Blau umgeben. Auf dem Schild stehen die Worte:
DAMEN AUGUSTE, GEMALT VON PICASSO 1902
Und das Bild daneben, dessen dick aufgetragene Farbwirbel zeigen:
DAMEN EPOSITO, GEMALT VON VINCENT VAN GOGH
Und so geht es weiter, alle vier Wände zeigen Damens Abbild, wiedergegeben von sämtlichen großen Meistern.
Mit verschwommenem Blick und weichen Knien sinke ich auf das Samtsofa, und durch meinen Verstand jagen tausend verschiedene Möglichkeiten, jede davon gleichermaßen lachhaft. Dann greife ich nach dem Buch, das am nächsten liegt, schlage die Titelseite auf und lese:
Für Damen Auguste Eposito.
Signiert von Wlliam Shakespeare.
Ich lasse es zu Boden fallen und nehme das nächste zur Hand.
Wuthering Heights, Für Damen Auguste, signiert von Emily Bronte.
Jedes Buch ist Damen Auguste Eposito gewidmet, oder Damen Auguste, oder einfach nur Damen. Alle von Autoren signiert, die seit über einem Jahrhundert tot sind.
Ich schließe die Augen und versuche, mich darauf zu konzentrieren, langsamer zu atmen, während mein Herz hämmert und meine Hände zittern. Ich sage mir, dass das alles ein Scherz ist, dass Damen ein abgedrehter Historien-Fan ist, ein Antiquitätensammler, ein Kunstfälscher, der zu weit gegangen ist. Vielleicht sind das hier kostbare Familienerbstücke, von einer langen Reihe von Urururgroßvätern hinterlassen, die alle denselben Namen getragen und dieselbe unheimliche Ähnlichkeit miteinander gehabt haben.
Doch als ich mich abermals umsehe, verrät mir das Frösteln, das mir das Rückgrat hinunterkriecht, die unleugbare Wahrheit - das hier sind nicht einfach nur Antiquitäten, und ebenso wenig sind es Erbstücke. Dies sind Damens persönliche Besitztümer, die Schätze, die er im Laufe der Jahre
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