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Die Unsterblichkeit der Henrietta Lacks

Titel: Die Unsterblichkeit der Henrietta Lacks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Skloot
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rollte mit den Augen, dann schrie er ins Mikrofon: »Wir haben heute einen Gast! Rebecca Skloot, würdest du dich heute Morgen bitte zu uns stellen?«
    »Oh, oh«, flüsterte Deborah, während die Blicke der ganzen Gemeinde seinem Finger folgten und sich auf mich richteten. Ich stand auf.
    »Schwester Rebecca Skloot«, sagte Pullum, »ich weiß, für dich ist das vielleicht nicht der richtige Zeitpunkt, für mich aber ist er es.«
    »Amen«, sagte Deborah von ihrem Sitz neben mir. Ihre Stimme klang plötzlich sehr ernst.
    »John Hopkins hat den Körper der Mutter meiner Frau genommen und davon benutzt, was sie brauchen konnten«, rief er ins Mikrofon. »Sie haben ihre Zellen in der ganzen Welt verkauft!
Jetzt ist Schwester Rebecca Skloot zu uns gekommen und wird uns sagen, was sie mit meiner Frau und mit den Zellen macht.«
    Ich hatte noch nie in einem Gottesdienst gesessen, und erst recht hatte ich noch nie vor einer Gemeinde gesprochen. Mein Gesicht wurde rot, und mein Hals krampfte sich zusammen, während Deborah mich von hinten anschob, damit ich in Bewegung kam. Pullum sagte der Gemeinde, sie solle mir die Hand geben, und im Saal brach Jubel aus. Ich ging zur Kanzel, nahm das Mikrofon von Pullum, der mir auf den Rücken klopfte und mir ins Ohr flüsterte: »Predige einfach mit deinen eigenen Worten.« Das tat ich. Ich erzählte die Geschichte von Henriettas Zellen und was sie für die Wissenschaft geleistet hatten. Meine Stimme wurde immer lauter, während die Gemeinde »Amen!« und »Halleluja!« und »Der Herr sei uns gnädig!« rief.
    »Die meisten Leute glauben, sie hieß Helen Lane«, sagte ich. »In Wirklichkeit war ihr Name Henrietta Lacks. Sie hatte fünf Kinder, und eines davon sitzt da drüben.« Ich zeigte auf Deborah. Sie hatte jetzt JaBrea auf dem Schoß und grinste. Dabei strömten ihr dicke Tränen über die Wangen.
    Pullum trat vor, nahm das Mikrofon, legte mir den Arm um die Schultern und hielt mich fest, damit ich nicht weglief. »Ich war sehr böse auf Schwester Rebecca, als sie zum ersten Mal bei uns angerufen hat«, sagte er. »Meine Frau auch. Dann haben wir irgendwann gesagt, na gut, aber du musst mit uns reden wie mit ganz normalen Leuten. Du musst uns ganz genau sagen, was Sache ist.«
    Dann sah er Deborah an. »Die Welt wird erfahren, wer deine Mutter ist. Aber du und Sonny und Henriettas andere Kinder werden vermutlich keinen großen Nutzen von den Zellen haben.« Deborah nickte, während Pullum seinen langen, in den Talar gewandeten Arm hob und auf JaBrea zeigte, ein atemberaubend
hübsches kleines Mädchen, das in weiße Spitze gekleidet war und einen Kranz im Haar trug.
    »Dieses Kind wird eines Tages wissen, dass ihre Urgroßmutter Henrietta der Welt geholfen hat!«, rief Pullum. Dann deutete er quer durch den Saal auf Davon und JaBreas andere Cousins und Cousinen, wobei er sagte: »Ebenso wird dieses Kind es wissen … und dieses Kind … und dieses Kind. Es ist jetzt ihre Geschichte. Sie müssen daran festhalten. Und mögen sie daraus lernen, dass auch sie die Welt verändern können.«
    Er hob die Arme über den Kopf und rief »Halleluja!«. Die kleine JaBrea wedelte mit den Händchen und ließ ein lautes, glückliches Kreischen hören. Die Gemeinde rief »Amen«.

38
    Der lange Weg nach Clover
    A m 18. Januar 2009, einem kalten, sonnigen Sonntag, bog ich vom Highway auf die Landstraße nach Clover ab. Als ich an den grünen Feldern vorüberfuhr, dachte ich: Ich hatte die Straße nach Clover gar nicht als so lang in Erinnerung . Dann fiel mir auf, dass ich gerade am Postamt von Clover vorübergekommen war – es stand auf der anderen Straßenseite gegenüber von einem großen, leeren Feld. Aber es lag doch gegenüber vom restlichen Ortszentrum . Ich begriff es einfach nicht. Wenn das hier das Postamt war, wo waren dann die anderen Häuser? Ich fuhr noch ein Stückchen weiter und dachte: Haben die das Postamt etwa verlegt? Dann ging mir plötzlich ein Licht auf.
    Clover war weg.
    Ich stieg aus dem Wagen und lief zu dem Feld, zu der Stelle, an der früher das alte Kino gestanden hatte – wo Henrietta und Cliff sich die Buck-Jones-Filme angesehen hatten. Es war weg. Ebenso der Lebensmittelladen von Gregory und Martin sowie Abbotts Bekleidungsgeschäft. Ich stand wie angewurzelt, hielt mir die Hand vor den Mund und starrte ungläubig auf das leere Feld. Dann fiel mir auf, dass zwischen Erde und Gras kleine Ziegelsteinbrocken und Stücke aus weißem Putz lagen. Ich kniete mich hin

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