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Die Unsterblichkeit der Henrietta Lacks

Titel: Die Unsterblichkeit der Henrietta Lacks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Skloot
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bösartige Zellen außerhalb des Körpers wachsen zu lassen. Dahinter stand die Hoffnung, die Ursachen von Krebs aufklären und eine effektive Therapie dagegen entwickeln zu können. Aber die meisten Zellen starben sehr schnell ab, und die wenigen, die überlebten, wuchsen so gut wie nicht. Das Ehepaar Gey hatte es sich zum Ziel gesetzt, die ersten unsterblichen menschlichen Zellen zu züchten: eine Linie von Zellen, die von einer einzigen Zellprobe abstammten und sich immer weiter teilten – Zellen, die sich ständig erneuerten und niemals starben. Acht Jahre zuvor, im Jahr 1941, hatte eine Arbeitsgruppe an den National Institutes of Health mit Mauszellen bewiesen, dass so etwas möglich ist. Die Geys wollten das menschliche Gegenstück züchten. Um was für ein Gewebe es sich handelte, war ihnen gleichgültig, solange es von einem Menschen stammte.
    Gey nahm alle Zellen, deren er habhaft werden konnte – er bezeichnete sich selbst als »den berühmtesten Geier der Welt, der sich fast ausschließlich von menschlichen Gewebeproben ernährt«. Und als TeLinde ihm nun Gebärmutterhalsgewebe anbot, wenn Gey dafür versuchte, die Zellen im Labor zu züchten, zögerte er nicht lange. Also entnahm TeLinde Gewebeproben von allen Frauen, die mit Gebärmutterhalskrebs ins Hopkins kamen. Eine davon war Henrietta.

    Am 5. Februar 1951, nachdem Jones vom Labor den Biopsiebericht über Henrietta erhalten hatte, rief er sie an und eröffnete ihr, dass es sich um einen bösartigen Tumor handelte. Henrietta erzählte niemandem, was der Arzt gesagt hatte, und niemand fragte sie danach. Sie machte einfach weiter, als wäre nichts geschehen – das war ihre Art: Es hatte keinen Sinn, jemanden mit einer Sache zu beunruhigen, die sie mit sich selbst abmachen musste.
    Am Abend rief sie ihren Mann an: »Day, ich muss morgen wieder zum Arzt. Er will noch’n paar Untersuchungen machen und mir Medizin geben.« Am nächsten Morgen stieg sie wieder vor dem Hopkins aus dem Buick. Zu Day und den Kindern sagte sie, sie sollten sich keine Sorgen machen. »Is nix Schlimmes«, wiegelte sie ab.
    Henrietta ging sofort zum Aufnahmeschalter und erklärte der Rezeptionistin, sie sei zur Behandlung gekommen. Dann unterschrieb sie ein Formular mit der Überschrift »Einwilligungserklärung«. Darin hieß es:
    Hiermit erkläre ich mein Einverständnis, dass das Personal des Johns Hopkins Hospital an mir alle operativen Eingriffe sowie jede Lokalanästhesie oder Vollnarkose vornehmen darf, die zur ordnungsgemäßen ärztlichen Versorgung von __________ für notwendig erachtet werden.
    Henrietta schrieb ihren Namen in Druckbuchstaben auf die leere Linie. Ein Zeuge unterzeichnete mit unleserlicher Handschrift auf einer Linie ganz unten, Henrietta auf einer zweiten. Dann folgte sie einer Krankenschwester über einen langen Flur auf die Station für farbige Frauen. Dort nahmen Howard Jones und andere weiße Ärzte mehr Untersuchungen an ihr vor, als sie bisher je erhalten hatte. Sie prüften ihren Urin, ihr Blut, ihre Lunge, steckten ihr Schläuche in Blase und Nase.

    Am zweiten Abend, den sie in der Klinik verbrachte, bekam sie ihr Essen früh, damit sie am nächsten Morgen nüchtern war. Dann versetzte ein Arzt sie in Narkose und begann mit der ersten Krebsbehandlung. Henrietta hatte einen invasiven Tumor, und wie in allen Kliniken im Land, so behandelte man auch im Hopkins invasive Cervixkarzinome immer mit Radium, einem weißen radioaktiven Metall, das ein gespenstisches bläuliches Licht abgibt.
    Als das Radium Ende des 19. Jahrhunderts entdeckt wurde, pries man es als »Ersatz für Gas und Elektrizität sowie als Allheilmittel gegen Krankheiten«. Uhrmacher setzten es ein, um Zifferblätter zum Leuchten zu bringen, und Ärzte verabreichten es in Pulverform zur Behandlung aller möglichen Leiden von der Seekrankheit bis zu Mittelohrentzündungen. Aber Radium zerstört alle Zellen, mit denen es in Berührung kommt, und immer mehr Patienten, die es gegen kleinere Beschwerden genommen hatten, starben. Radium verursacht Mutationen, die eine Zelle zur Krebszelle machen können, und in hoher Dosierung verbrennt es die Haut. Aber es tötet eben auch Krebszellen ab.
    Am Hopkins verwendete man Radium schon seit Beginn des 20. Jahrhunderts zur Therapie von Gebärmutterhalskrebs. Damals war ein Chirurg namens Howard Kelly in Frankreich bei Marie und Pierre Curie zu Besuch gewesen, dem Ehepaar, das sowohl das Radium als auch seine Fähigkeit, Krebszellen zu

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