Die Unsterblichkeit der Henrietta Lacks
Experimente zur Entwicklung des optimalen Mediums gingen ständig weiter, aber das größte Problem war und blieb die Kontamination. Bakterien und eine Fülle weiterer Mikroorganismen konnten von ungewaschenen Händen, aus dem Atem der Menschen und aus in der Luft schwebenden Staubteilchen in die Zellkulturen gelangen und sie zerstören. Aber Margaret war ausgebildete OP-Schwester – und wenn ihr etwas am Herzen lag, dann Keimfreiheit, denn nur so konnte man tödlichen Infektionen im Operationssaal vorbeugen. Später wurde vielfach behauptet, Margarets Ausbildung sei der einzige Grund gewesen, warum die Zucht von Zellen in Geys Labor überhaupt gelang. Die meisten, die Zellkultur betrieben, waren Biologen wie George; über die Verhütung von Verunreinigungen wussten sie so gut wie nichts.
Margaret brachte George alles bei, was er wissen musste, um Zellkulturen keimfrei zu halten, und das Gleiche lernten bei ihr auch alle technischen Assistentinnen, Doktoranden und Wissenschaftler, die in dem Institut arbeiten oder studieren wollten. Sie stellte Minnie ein, eine Frau aus dem Ort, deren einzige Aufgabe darin bestand, die Glasgeräte im Labor zu reinigen. Dazu durfte sie nur ein einziges Produkt verwenden: Seife der Marke Gold Dust Twins. Die Sache mit der Seife nahm Margaret sehr ernst: Als sie gerüchteweise hörte, die Herstellerfirma werde die Produktion einstellen, kaufte sie eine ganze Wagenladung davon.
Margaret ging mit verschränkten Armen im Labor auf und ab; hin und wieder sah sie Minnie, die fast einen Kopf kleiner war als sie, bei der Arbeit über die Schulter. Wenn sie wirklich einmal lächelte, hätte man es hinter ihrer allgegenwärtigen Chirurgengesichtsmaske nicht gesehen. Sie inspizierte alle Glasgeräte auf Flecken oder Schlieren, und wenn sie etwas
fand – was oft vorkam -, schrie sie so laut »MINNIEEEE!«, dass Mary zusammenzuckte.
Um nicht Margarets Zorn auf sich zu ziehen, befolgte Mary beim Keimfreimachen ihre Regeln peinlich genau. Als sie ihr Mittagessen beendet hatte und die Probe von Henrietta in Angriff nehmen wollte, kleidete sie sich in einen weißen Kittel, Chirurgenkappe und Mundschutz. Dann begab sie sich in ihre Arbeitszelle, einen von vier luftdicht abgeschlossenen Räumen, die George in der Mitte des Labors eingebaut hatte. Die Zellen waren winzig: Sie maßen nur eineinhalb mal eineinhalb Meter, und die Türen waren dicht wie bei einem Kühlschrank, damit keine Luft von außen eindringen konnte. Mary schaltete die Sterilisationsanlage ein und sah von außen zu, wie ihre Zelle sich mit heißem Dampf füllte; er tötete alles ab, was die Zellen hätte verunreinigen können. Als der Dampf sich verzogen hatte, betrat sie den kleinen Raum, schloss die Tür hinter sich, spritzte den Betonfußboden mit Wasser ab und schrubbte ihren Arbeitstisch mit Alkohol. Die Luft wurde gefiltert und durch einen Stutzen in der Decke eingeblasen. Nachdem sie die Zelle keimfrei gemacht hatte, zündete sie einen Bunsenbrenner an und sterilisierte mit seiner Flamme die Reagenzgläser sowie ein gebrauchtes Skalpell. Für jede Probe ein neues zu benutzen konnte sich Geys Institut nicht leisten.
Erst jetzt griff sie – die Pinzette in der einen, das Skalpell in der anderen Hand – nach den Stücken von Henriettas Gebärmutterhals und zerlegte sie vorsichtig in einen Millimeter große Würfel. Sie saugte die Stückchen einzeln in Pipetten und ließ sie auf geronnenes Hühnerblut fallen, das sie auf den Boden mehrerer Dutzend Reagenzgläser gelegt hatte. Nun benetzte sie jedes Gerinnsel mit ein paar Tropfen Kulturmedium, verschloss die Reagenzgläser mit Gummipfropfen und beschriftete sie wie die meisten hier gezüchteten Kulturen mit den beiden ersten Buchstaben von Vor- und Nachnamen der Patientin.
Nachdem sie alle Röhrchen seitlich mit den großen schwarzen Lettern »HeLa« für Henrietta Lacks gekennzeichnet hatte, trug Mary sie in den Brutraum, den Gey wie die ganze übrige Laborausstattung eigenhändig aus Material vom Schrottplatz gebaut hatte – eine Fähigkeit, die man sich aneignet, wenn man sein ganzes Leben lang mit nichts zurechtkommen muss.
George Gey wurde 1899 geboren und wuchs in einem hügeligen Viertel von Pittsburgh auf, von dem man den Blick auf ein Stahlwerk hatte. Der Ruß aus den Schornsteinen ließ das kleine weiße Haus seiner Eltern wie verkohlt aussehen und verdunkelte den Nachmittagshimmel. Seine Mutter versorgte den Garten und ernährte die Familie ausschließlich mit
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