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Die Unsterblichkeit der Henrietta Lacks

Titel: Die Unsterblichkeit der Henrietta Lacks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Skloot
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zerstören, entdeckt hatte. Ohne zu wissen, wie gefährlich der Kontakt mit dem radioaktiven Material ist, brachte Kelly ein wenig davon in der Hosentasche mit in die Vereinigten Staaten, und dann reiste er regelmäßig um die halbe Welt, um noch mehr davon zu besorgen. In den 1940er Jahren hatten mehrere Studien – eine war von Howard Jones, Henriettas Arzt, durchgeführt worden – gezeigt, dass Radium zur Behandlung des invasiven Cervixkarzinoms ungefährlicher und wirksamer ist als ein chirurgischer Eingriff.
    Am Morgen von Henriettas erster Behandlung holte ein Taxifahrer in einer Klinik am anderen Ende der Stadt eine Arzttasche voller dünner Glasröhrchen mit Radium ab. Die Röhrchen steckten einzeln in Schlitzen von kleinen Segeltuchtaschen, die eine Frau aus Baltimore mit der Hand genäht hatte. Die Beutel wurden nach dem Arzt am Hopkins, der sie erfunden hatte und auch Henriettas Radiumtherapie beaufsichtigte, als Brack-Taschen bezeichnet. Er starb später an Krebs – wahrscheinlich, weil er regelmäßig mit Radium in Kontakt gekommen war. Ebenso erging es einem Assistenzarzt, der Kelly begleitet und das Radium ebenfalls in seinen Hosentaschen transportiert hatte.
    Eine Krankenschwester legte die Brack-Taschen auf ein Edelstahltablett. Eine andere schob Henrietta auf einer fahrbaren Trage in den kleinen Farbigen-Operationssaal auf der zweiten Etage. Hier standen Edelstahltische und riesige, blendende Operationslampen. Das medizinische Personal war ganz in Weiß gekleidet: Kittel, Mützen, Gesichtsmasken und Gummihandschuhe.
    Betäubt lag Henrietta auf dem Operationstisch, die Füße auf den Stützen. Dr. Lawrence Wharton Jr., der diensthabende Chirurg, saß auf einem Stuhl zwischen ihren Beinen. Er blickte in Henrietta hinein, dehnte den Gebärmutterhals und bereitete alles für die Behandlung des Tumors vor. Zuerst aber griff er nach einem Skalpell und schnitt zwei münzgroße Gewebestücke vom Gebärmutterhals ab – und das, obwohl niemand Henrietta darüber unterrichtet hatte, dass TeLinde solche Proben sammelte; niemand hatte sie gefragt, ob sie zu der Gewebespende bereit war. Ein Stück entnahm Wharton aus dem Tumor, das andere aus dem benachbarten gesunden Gewebe. Er legte die Proben in eine Glasschale.
    Nun steckte Wharton ein Röhrchen voller Radium in Henriettas Gebärmutterhals und nähte es fest. Eine Platte mit Radium
befestigte er an der Außenseite der Cervix, eine zweite darüber. Anschließend schob er mehrere Rollen Verbandmull in die Scheide, damit das Radium nicht verrutschte. In die Blase legte er einen Katheter, so dass die Patientin Wasser lassen konnte, ohne dass die Behandlung gestört wurde.
    Als Wharton fertig war, schob eine Schwester Henrietta wieder auf die Station. Der Arzt schrieb in ihre Krankenakte: »Patientin hat den Eingriff gut überstanden und verlässt den Operationssaal in gutem Allgemeinzustand.« Auf einem anderen Blatt vermerkte er: »Henrietta Lacks … Biopsie von Cervixgewebe … Proben an Dr. George Gey übergeben.«
    Ein Assistenzarzt brachte die Schale mit den Gewebeproben in Dr. Geys Labor, wie er es schon viele Male zuvor getan hatte. Gey war in solchen Momenten immer ganz aufgeregt, für alle anderen in seinem Labor aber waren Henriettas Proben nichts Besonderes – bloß das neueste in einer scheinbar endlosen Reihe von Biopsiematerial, dessen Zellen sie schon seit Jahren vergeblich versuchten, zum Wachsen zu bringen. Henriettas Zellen würden ebenso absterben wie alle anderen zuvor auch. Da waren sie sich ganz sicher.

4
    Die Geburt von HeLa
    M ary Kubicek, Geys 21-j ährige Assistentin, saß mit ihrem Thunfischsalat-Sandwich an einer langen steinernen Arbeitsbank, die gleichzeitig auch als Frühstückstisch diente. Zusammen mit Margaret und den anderen Frauen in Geys Institut verbrachte sie unzählige Stunden hier. Alle trugen nahezu die gleichen runden Brillen mit breitem schwarzem Rand und dicken Gläsern, und alle hatten die Haare straff zu einem Knoten zurückgebunden.
    Auf den ersten Blick hätte man den Raum für eine Großküche halten können. Riesige Metallkaffeedosen voller Utensilien und Glasgerätschaften; auf den Tischen pulverförmiger Kaffeeweißer, Zucker, Löffel und Sodaflaschen; an einer Wand eine Reihe gewaltiger Edelstahlgefriertruhen; und tiefe Ausgussbecken, die Gey eigenhändig aus Brocken eines nahe gelegenen Steinbruchs angefertigt hatte. Aber die Teekanne stand neben einem Bunsenbrenner, und die Kühltruhen waren voller

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