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Die Unsterblichkeit der Henrietta Lacks

Titel: Die Unsterblichkeit der Henrietta Lacks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Skloot
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nach den Veränderungen, die TeLinde und einige andere wenige Jahre
zuvor als Kennzeichen einer Krebsvorstufe identifiziert hatten. Die Methode bedeutete einen ungeheuren Fortschritt, denn die Zellen der Krebsvorstufe waren anders nicht nachweisbar: Sie verursachen keine Krankheitssymptome, und man kann sie weder ertasten noch mit bloßem Auge sehen. Sobald sich bei einer Frau die ersten Symptome einstellten, bestand kaum noch Hoffnung, sie zu heilen. Mit dem Pap-Abstrich dagegen konnte der Arzt die Krebszellen schon im Frühstadium erkennen und die Gebärmutter entfernen. Damit ließ sich der Gebärmutterhalskrebs nahezu vollständig verhüten.
    Zu jener Zeit starben pro Jahr mehr als 15 000 Frauen an einem Cervixkarzinom. Der Pap-Abstrich bot die Möglichkeit, diese Zahl um mindestens 70 Prozent zu senken. Zwei Dinge aber standen dem im Weg: Erstens wurden viele Frauen genau wie Henrietta überhaupt nicht untersucht; und zweitens: Selbst wenn es geschah, wussten nur die wenigsten Ärzte, wie man die Befunde richtig auswertet. Ihnen war nicht klar, wie die verschiedenen Stadien des Cervixkarzinoms unter dem Mikroskop aussehen. Manche hielten Infektionen des Gebärmutterhalses fälschlicherweise für Krebs und nahmen einer Frau sämtliche Fortpflanzungsorgane heraus, obwohl sie nur ein Antibiotikum gebraucht hätte. Umgekehrt deuteten andere bösartige Veränderungen als Infektion und schickten die Frauen mit Antibiotika nach Hause, so dass sie erst später wiederkamen, wenn sie schon Metastasen hatten und beinahe im Sterben lagen. Doch selbst wenn Ärzte die Krebsvorstufe richtig diagnostizierten, wussten sie oft nicht, wie sie sie behandeln sollten.
    TeLinde hatte es sich zum Ziel gesetzt, die Zahl der »ungerechtfertigten Gebärmutteroperationen«, wie er sie nannte, so gering wie möglich zu halten. Zu diesem Zweck dokumentierte er, was kein Gebärmutterhalskrebs war, und drängte darauf, dass die Chirurgen die Ergebnisse des Pap-Abstriches
durch eine Biopsie bestätigten, bevor sie zum Messer griffen. Außerdem wollte er beweisen, dass bei Frauen mit Carcinoma in situ eine aggressive Therapie notwendig war, damit sich daraus kein invasiver Tumor entwickelte.
    Kurz vor Henriettas erster Untersuchung hatte TeLinde seine Ansichten über das Carcinoma in situ bei einer großen Pathologentagung in Washington, D. C., vorgetragen; dort hatte das Publikum ihn geradezu vom Rednerpult vertrieben. Also ging er wieder ans Hopkins und plante eine Studie, um seinen Widersachern den Wind aus den Segeln zu nehmen: Zusammen mit seinen Mitarbeitern wollte er alle Krankenakten und Biopsien von Patientinnen der Klinik durchsehen, bei denen man in den letzten zehn Jahren ein invasives Cervixkarzinom diagnostiziert hatte. Sie wollten herausfinden, wie viele dieser Frauen zuvor ein Carcinoma in situ gehabt hatten.
    Wie viele Ärzte jener Zeit, so benutzte auch TeLinde häufig Patientinnen und Patienten von den öffentlichen Stationen für seine Forschungsarbeiten, und das meist ohne ihr Wissen. Da die Patienten auf den öffentlichen Stationen kostenlos behandelt wurden, hielten die Mediziner es nur für recht und billig, sie im Gegenzug als Forschungsobjekte zu verwenden. Howard Jones schrieb einmal: »Das Hopkins mit seinem großen Bestand mittelloser Farbiger hatte keinen Mangel an medizinischem Material.«
    In der Studie, um die es hier ging – es war die größte, in der man jemals den Zusammenhang zwischen den beiden Krebsformen untersucht hatte -, stellten TeLinde und Jones fest, dass bei 62 Prozent der Frauen, die an einem invasiven Tumor litten und sich zuvor schon einmal einer Biopsie unterzogen hatten, zu Beginn ein Carcinoma in situ diagnostiziert worden war. Unabhängig von der Studie hätte TeLinde gern auch einen Weg gefunden, um Gewebeproben aus einem gesunden Gebärmutterhals und beiden Formen von Krebs im Labor zu züchten
– was noch niemandem gelungen war; denn dann hätte er alle drei Gewebe unmittelbar vergleichen können. Wenn ihm der Nachweis gelang, dass das Carcinoma in situ und das invasive Karzinom im Labor ähnlich aussahen und sich ähnlich verhielten, wäre die Debatte ein für alle Mal beendet: Dann hätte er gezeigt, dass er von Anfang an recht hatte und dass die Ärzte, die das nicht einsahen, ihre Patientinnen zum Tod verurteilten. Also rief er George Gey an, den Leiter der Abteilung für Gewebekulturforschung am Hopkins.
    Gey und seine Frau Margaret bemühten sich schon seit 30 Jahren darum,

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