Die Unsterblichkeit der Henrietta Lacks
die man bei der BBC aufgenommen, für die Dokumentation aber nicht verwendet hatte. In dem Film saß Deborah auf einem Sofa und hatte die aufgeschlagene Bibel ihrer Mutter auf dem Schoß. Ihre Haare waren nicht grau, sondern noch braun, die Augen leuchteten, und unter ihnen waren keine Ringe. Während sie sprach, strich sie mit der Hand über die lange Haarlocke ihrer Mutter.
»Ich besuche oft ihre Haare in der Bibel«, sagte Deborah in die Kamera. »Wenn ich an diese Haare denke, bin ich nicht so einsam. Ich male mir aus, wie es wäre, wenn ich eine Mutter hätte und zu ihr gehen könnte, um zu lachen, zu weinen, sie zu umarmen. So Gott will, werde ich eines Tages bei ihr sein. Darauf freue ich mich schon.«
Weiter erklärte die jüngere Deborah, sie sei froh, dass sie nach ihrem Tod nicht ihrer Mutter die ganze Geschichte über die
Zellen und die Familie erzählen müsse, weil Henrietta sie ja schon kenne. »Sie sieht uns zu und weiß alles, was hier vorgeht«, sagte Deborah. »Sie wartet geduldig auf uns. Es wird keine Worte geben, sondern nur viele Umarmungen und Tränen. Ich glaub wirklich, dass sie da oben im Himmel is, und es geht ihr gut, denn sie hat für alle hier unten genug gelitten. Da drüben, das sagense immer, gibt’s keine Schmerzen und kein Leiden … Da will ich bei meiner Mutter sein.«
Deborah saß zwischen Davon und mir, nickte ihrem jüngeren Ich auf dem Bildschirm zu und sagte: »Im Himmel sieht’s genauso aus wie in Clover, Virginia. Meine Mutter und ich fanden es da unten immer schöner als irgendwo sonst auf der Welt.«
Sie strich Davon über die Haare. »Ich weiß nich, wie ich gehen werde«, sagte sie, »ich hoff nur, es is schön und ruhig. Aber eines kann ich euch sagen: Ich will nich unsterblich sein, wenn das heißt, dass man immer lebt, denn dann werden alle anderen einfach alt und sterben, während du selbst immer gleich bleibst, und das is einfach nur traurig.« Dann lächelte sie. »Aber vielleicht komm ich als’n paar HeLa-Zellen wieder wie meine Mutter, damit wir zusammen hier in der Welt was Gutes tun können.« Sie hielt inne und nickte noch einmal. »Ja, ich glaub, das würde mir gefallen.«
Was aus ihnen wurde
Alfred Carter Jr., Deborahs Sohn, sitzt im Gefängnis. Er wurde wegen bewaffneten Raubüberfalls und Mordversuchs zu 30 Jahren Haft verurteilt. Während seiner Haftzeit machte er einen Drogen- und Alkoholentzug, holte seinen Schulabschluss nach und leitete für 25 Dollar pro Monat Kurse zur Erlangung des Schulabschlusses für andere Gefängnisinsassen. Im Jahr 2006 erklärte er in einem Schreiben an den Richter, der ihn verurteilt hatte, er wolle das gestohlene Geld zurückzahlen und müsse wissen, an wen er es schicken solle.
Über Dr. Sir Lord Keenan Kester Cofield ist nichts Näheres bekannt. In jüngerer Zeit verbrachte er mehrere Jahre im Gefängnis, weil er versucht hatte, bei Macy’s mit einem gestohlenen Scheck Schmuck zu kaufen, und strengte während seiner Haft mehrere Klagen an. Nachdem man ihn 2008 aus dem Gefängnis entlassen hatte, verfasste Cofield eine 75-seitige Klageschrift – seine bisher letzte -, die ein Richter als »unverständlich« bezeichnete. Er verklagte 226 Gegner auf mehr als zehn Milliarden Dollar und vertrat die Ansicht, frühere Gerichtsentscheidungen in allen seinen Prozessen müssten zu seinen Gunsten revidiert werden; außerdem schloss er in die Klage alle ein, die seinen Namen ohne Erlaubnis druckten, weil er darauf angeblich das Urheberrecht hatte. Es ist mir nicht gelungen, Kontakt mit ihm aufzunehmen und ihn im Rahmen der Recherchen zu diesem Buch zu befragen.
Cliff Garret , Henriettas Vetter, lebte bis 2009 in seinem Farmhaus in Clover. Dann verschlechterte sich sein Gesundheitszustand, und er musste zu seinem Sohn nach Richmond in Virginia ziehen, wo er noch heute lebt.
HeLa ist in den Labors der ganzen Welt nach wie vor eine der am häufigsten benutzten Zelllinien. Als dieses Buch 2009 in den Druck ging, handelten bereits mehr als 60 000 wissenschaftliche Fachartikel von Forschungsarbeiten mit HeLa, und diese Zahl wuchs jeden Monat stetig um mehr als 300 Artikel an. HeLa-Zellen verunreinigen noch heute andere Kulturen und verursachen damit jedes Jahr einen Schaden von schätzungsweise mehreren Millionen Dollar.
Howard Jones , Henriettas Arzt, ist heute emeritierter Professor an der Johns Hopkins and Eastern Virginia Medical School. Zusammen mit seiner mittlerweile verstorbenen Frau Georgeanna
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