Die Unsterblichkeit der Henrietta Lacks
Nutzung menschlicher Zellen und Gewebe in der Biotechnologie eröffne »großartige Aussichten« für die Verbesserung der Gesundheit, werfe aber auch zahlreiche ethische und juristische Fragen auf, die »bisher nicht beantwortet sind« und auf die sich »kein einheitliches juristisches, politisches oder ethisches System anwenden lässt«. Deshalb, so der Bericht weiter, seien Klarstellungen erforderlich.
Im Jahr 1999 stellte die von Präsident Clinton eingesetzte National Bioethics Advisory Commission in einem Bericht fest, die Aufsicht der Bundesbehörden über die Gewebeforschung sei »unzureichend« und »zweideutig«. Die Kommission empfahl gezielte Veränderungen, mit denen das Recht der Patienten gewährleistet werden sollte, selbst über die Nutzung ihres
Gewebes zu bestimmen. Die Frage, wer mit dem menschlichen Körper Profite machen darf, blieb allerdings außen vor. Das Gremium erklärte nur, diese Frage gebe Anlass zu »einigen Bedenken« und man solle sie weiter untersuchen. Danach geschah aber nicht mehr viel.
Jahre später fragte ich Wayne Grody, einen der Hauptbeteiligten der Diskussion in den Neunzigerjahren, warum die Empfehlungen von Kongress und NBAC-Bericht sich mehr oder weniger in Luft aufgelöst hätten.
»Es hört sich seltsam an, aber ich habe keine Ahnung«, erwiderte er. »Wenn Sie da etwas herausfinden könnten, wüsste ich es gerne. Wir alle wollten es am liebsten vergessen und haben getan, als würde es einfach verschwinden, wenn wir es ignorieren.« Aber es verschwand nicht. Und angesichts der stetigen Welle von Gerichtsverfahren, die mit Gewebeforschung zu tun haben, wird das Thema auch in absehbarer Zukunft nicht einfach vom Tisch sein.
Trotz der vielen anderen Fälle und der umfangreichen Presseberichterstattung bemühte sich die Familie Lacks nie wirklich darum, irgendjemanden wegen der HeLa-Zellen zu verklagen. Mehrere Anwälte und Ethiker äußerten mir gegenüber die Ansicht, die Forschung an den HeLa-Zellen solle unter die Common Rule fallen, da man sie heute nicht mehr anonymisieren könne. Und da ein Teil der DNA aus Henriettas Zellen auch bei ihren Kindern vorhanden ist, könnte man sogar die Ansicht vertreten, mit der Erforschung der HeLa-Zellen würden die Wissenschaftler auch Forschung an den Lacks-Kindern betreiben. Da die Common Rule besagt, dass eine Versuchsperson jederzeit die Möglichkeit haben muss, sich aus den Forschungsarbeiten zurückzuziehen, könnte die Familie Lacks nach Ansicht dieser Fachleute theoretisch sogar die Verwendung von HeLa-Zellen in der weltweiten Wissenschaft verbieten. Dafür gibt es tatsächlich Präzedenzfälle: Einer Frau gelang
es beispielsweise, die DNA-Sequenz ihres Vaters aus einer isländischen Datenbank löschen zu lassen. Alle Wissenschaftler, mit denen ich über diesen Gedanken sprach, schauderte es. Vincent Raniello, ein Professor für Mikrobiologie und Immunologie an der Columbia University, hat nach eigenen Berechnungen für seine Forschung ungefähr 800 Milliarden HeLa-Zellen gezüchtet. Er erklärt, eine Beschränkung der Nutzung von HeLa wäre eine Katastrophe. »Man kann sich gar nicht vorstellen, welche Auswirkungen das für die Wissenschaft hätte«, sagte er.
Was die Familie Lacks angeht, so stehen ihr nur wenige juristische Möglichkeiten offen. Gegen die Entnahme der Zellen selbst können sie aus mehreren Gründen nichts unternehmen, unter anderem deshalb, weil sie schon seit Jahrzehnten verjährt ist. Sie könnten versuchen, die HeLa-Forschung mit einer Klage zu verhindern und dies damit begründen, dass man Henriettas Zellen, die ihre DNA enthalten, nicht anonymisieren kann. Aber viele Juristen, mit denen ich mich unterhalten habe, bezweifeln die Erfolgsaussichten einer solchen Klage. Ohnehin hat die Familie Lacks kein Interesse daran, die HeLa-Forschung völlig zu verbieten. »Ich will die Wissenschaft nicht in Schwierigkeiten bringen«, sagte mir Sonny, kurz bevor dieses Buch in Druck ging. »Das würde Dale nicht wollen. Und nebenbei bemerkt: Ich bin stolz auf meine Mutter und das, was sie für die Wissenschaft getan hat. Ich hoffe nur, Hopkins und ein paar andere Leute, die von ihren Zellen profitiert haben, werden etwas tun, um sie zu ehren und die Sache mit der Familie in Ordnung zu bringen.«
Dank
I mmer wieder konnte ich miterleben, wie Menschen durch die Geschichte von Henrietta und ihren Zellen neue Kraft schöpften – und den Wunsch entwickelten, ihren Dank für ihren Beitrag zur Wissenschaft zum
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