Die Unsterblichkeit der Henrietta Lacks
Wissenschaft erwächst daraus, dass sie Teil einer größeren Sammlung sind.
Das Spektrum der Firmen, die Gewebeproben liefern, reicht heute von kleinen Privatunternehmen bis zu Konzernen wie Ardais, die dem Beth Israel Deaconness Medical Center, dem Duke University Medical Center und vielen anderen Einrichtungen eine nicht näher genannte Summe dafür bezahlen, dass sie den alleinigen Zugriff auf die von deren Patienten gewonnenen Gewebeproben erhalten.
»Man kann die Frage, wer das Geld bekommt und wozu es verwendet wird, nicht außer Acht lassen«, sagt Clayton. »Was man da machen soll, weiß ich auch nicht genau, aber ein wenig seltsam ist es schon, wenn man sagt: Alle sollen daran verdienen, nur nicht diejenigen, die das Rohmaterial liefern.«
Verschiedene politische Beobachter, Wissenschaftler, Philosophen und Ethiker haben verschiedene Wege vorgeschlagen, wie man die Gewebespender entschädigen könnte: Man könnte zum Beispiel ein sozialversicherungsähnliches System schaffen, in dem jede Spende der betreffenden Person ihr Anrecht auf Entschädigung vergrößern würde; oder man gesteht den Spendern Steuervorteile zu; oder man entwickelt ein Honorarsystem ähnlich dem für die Beteiligung von Musikern, deren Lieder im Radio gespielt werden; oder man verlangt, dass ein bestimmter Prozentsatz der Gewinne aus der Gewebeforschung in wissenschaftliche oder medizinische Einrichtungen fließt beziehungsweise dass sie insgesamt wieder der Forschung zugutekommen.
Die Experten auf beiden Seiten der Diskussion machen sich Sorgen, Entschädigungen für Patienten könnten zu einem Gewinnstreben führen, das die Wissenschaft behindert, weil unrealistische finanzielle Forderungen gestellt werden oder weil auch für nichtkommerzielle wissenschaftliche Arbeiten, hinter denen kein Gewinnstreben steht, Geld verlangt wird. In der Mehrzahl der Fälle jedoch sind die Spender überhaupt nicht auf Profit aus. Ihnen geht es weniger um den persönlichen Gewinn als vielmehr um die Gewissheit, dass die durch die Untersuchung von Gewebe gesammelten wissenschaftlichen Kenntnisse der Öffentlichkeit und anderen Wissenschaftlern zugänglich gemacht werden. Mehrere Patientengruppen haben sogar eigene Gewebebanken eingerichtet, so dass sie die Nutzung ihres Gewebes und die in diesem Zusammenhang erteilten Patente unter Kontrolle haben. Auf diese Weise wurde eine Frau zur Patentinhaberin für das krankheitserregende Gen, das im Gewebe ihrer Kinder entdeckt wurde – sie kann nun darüber bestimmen, welche Forschungsarbeiten damit angestellt und welche Lizenzen erteilt werden.
Patente auf Gene sind das Thema, das in der Debatte über die
Eigentumsrechte an biologischem Material von Menschen und ihren störenden Einfluss auf die Wissenschaft die größte Unruhe erzeugt. Im Jahr 2005 – das letzte Jahr, für das Zahlen verfügbar sind – hatten die US-Behörden Patente auf die Nutzung von ungefähr 20 Prozent aller bekannten menschlichen Gene erteilt, darunter solche für Alzheimer, Asthma, Dickdarmkrebs und – der berühmteste Fall – Brustkrebs. Damit bestimmen heute Pharmakonzerne, Wissenschaftler und Universitäten darüber, welche Forschungsarbeiten mit diesen Genen angestellt werden und wie viel die daraus erwachsenden Diagnose- und Therapieverfahren kosten. Manche von ihnen setzen ihre Patente aggressiv durch: Das Unternehmen Myriad Genetics etwa besitzt die Patente auf die Gene BRCA1 und BRCA2, die für die meisten Fälle des erblichen Brust- und Eierstockkrebses verantwortlich sind. Für einen Test auf die Gene berechnet die Firma 3000 Dollar. Myriad wurde vorgeworfen, es habe ein Monopol geschaffen, da niemand anders den Test anbieten kann, und Wissenschaftler können weder preisgünstigere Untersuchungen noch neue Therapieverfahren entwickeln, ohne eine Genehmigung bei Myriad einzuholen und hohe Lizenzgebühren zu bezahlen. Wissenschaftler, die ohne Genehmigung von Myriad weiterhin die Brustkrebsgene erforschten, wurden zur Zielscheibe für Abmahnungen, in denen Unterlassungserklärungen gefordert und juristische Schritte angedroht wurden.
Im Mai 2009 verklagten die American Civil Liberties Union, mehrere überlebende Brustkrebspatientinnen und Berufsorganisationen, die mehr als 150 000 Wissenschaftler vertraten, Myriad Genetics wegen der Brustkrebspatente. Die an dem Fall beteiligten Wissenschaftler machen unter anderem geltend, die Patentierung von Genen habe ihre Forschung behindert und müsse deshalb eingestellt werden.
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