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Die Unsterblichkeit der Henrietta Lacks

Titel: Die Unsterblichkeit der Henrietta Lacks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Skloot
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einfach nicht anders. Die haben da Musik gespielt, wenn man die hörte, ging sie direkt in die Seele. Ein paar Wechselschritte auf dem Tanzboden, ein bisschen Blueswackelei, und dann hat vielleicht jemand einen Quarter eingeworfen und ein langsames Lied gespielt, und du lieber Gott, wir sind einfach hingegangen und haben uns abgezappelt und gedreht und all so was!« Sie kicherte wie ein junges Mädchen. »Es war eine schöne Zeit.« Und sie waren schöne Frauen.
    Henrietta hatte walnussbraune Augen, leuchtend weiße Zähne und volle Lippen. Sie war eine stämmige Frau mit kantigem Unterkiefer, breiten Hüften, kurzen, muskulösen Beinen und Händen, die von den Tabakfeldern und der Küche rau waren. Die Fingernägel schnitt sie kurz, damit der Brotteig beim Kneten nicht darunter hängen blieb, aber sie lackierte sie stets dunkelrot, passend zu ihren Zehennägeln.
    Mit der Pflege ihrer Fingernägel brachte Henrietta Stunden zu, in denen sie abgesplitterte Stücke entfernte und neue Farbe auftrug. Sie saß auf dem Bett, den Nagellack in der Hand und Lockenwickler in den Haaren; sie trug den Seidenslip, den sie so liebte, dass sie ihn jeden Abend mit der Hand wusch. Hosen trug sie nie, und kaum einmal verließ sie das Haus, ohne einen sorgfältig gebügelten Rock und eine Bluse anzuziehen. Ihre Füße steckten in winzigen Peep-toe-Pumps, und aus den hochgesteckten Haaren ließ sie eine kleine Strähne heraushängen, »als ob sie vor ihrem Gesicht tanzen sollte«, wie Sadie immer sagte.
    »Hennie hat das Leben lebendig werden lassen – wenn man mit ihr zusammen war, hatte man immer Spaß«, erzählte sie mir mit zur Decke gewandtem Blick. »Hennie war einfach gern unter Leuten. Sie war ein Mensch, der wirklich das Gute in einem zum Vorschein brachte.«
    Bei einer Person jedoch konnte Henrietta nichts Gutes zum
Vorschein bringen: Ethel, die Frau ihres Vetters Galen, war kurz zuvor aus Clover nach Turner Station gekommen, und sie hasste Henrietta – ihre Vettern behaupteten immer, es sei Eifersucht.
    »Ich glaub, man kann es ihr nicht einmal verübeln«, sagte Sadie. »Galen, der Mann von Ethel, hat Hennie immer mehr gemocht als seine Frau. Du lieber Gott, der ist Hennie nachgestiegen! Egal, wohin sie ging, Galen ging auch hin – er hat sich immer bemüht, bei Hennie im Haus zu sein, wenn Day auf der Arbeit war. Du lieber Gott, klar war Ethel eifersüchtig. Sie hat Hennie gehasst wie die Pest. Es war immer, als wollte sie Hennie wehtun.« Also fingen Henrietta und Sadie jedes Mal an zu kichern, wenn Ethel irgendwo auftauchte, und dann schlichen sie sich aus der Hintertür und gingen in einen anderen Club.
    Wenn Henrietta, Sadie und Sadies Schwester Margaret nicht heimlich ausgingen, saßen sie abends in Henriettas Wohnzimmer, spielten Bingo, schrien und lachten über einen Topf voller 1-Cent-Stücke, während Henriettas Babys – David Jr., Deborah und Joe – auf dem Teppich unter dem Tisch mit den Bingosteinen spielten. Lawrence war fast 16 und führte bereits sein eigenes Leben. Ein Kind jedoch fehlte: Elsie, Henriettas älteste Tochter.
    Bevor Henrietta erkrankte, hatte sie Elsie jedes Mal, wenn sie nach Clover fuhr, mitgenommen. Elsie saß dann auf der Veranda des Home-House, starrte auf die Hügel und beobachtete den Sonnenuntergang, während Henrietta im Garten arbeitete. Sie war schön, zart und weiblich wie ihre Mutter, die ihr selbst genähte Kleidung mit Schleifen anzog und stundenlang ihre langen braunen Locken bürstete. Elsie sprach nie; sie krächzte und zirpte nur wie ein Vogel, während sie wenige Zentimeter vor ihrem Gesicht mit den Händen herumwedelte. Sie hatte große kastanienbraune Augen, in die alle blickten,
wenn sie zu verstehen versuchten, was in dem hübschen Kopf vorging. Aber Elsie starrte nur unverwandt zurück, ihr Blick heimgesucht von Angst und einer Traurigkeit, die sich nur dann verminderte, wenn Henrietta sie hin und her schaukelte. Manchmal rannte Elsie über die Felder, jagte wilden Truthähnen hinterher oder griff nach dem Schwanz des Familienmaultiers und schlug darauf ein, bis Lawrence sie wegzog. Henriettas Vetter Peter sagte immer, Gott habe dieses Kind vom Augenblick seiner Geburt an geliebt, denn das Maultier tat ihr nie weh. Es war ein boshaftes Geschöpf, das nach Luft schnappte wie ein tollwütiger Hund und ständig in die Luft trat, aber offenbar wusste es, das Elsie etwas Besonderes war. Als sie jedoch älter wurde, stürzte sie oft, lief gegen Wände und Türen,

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