Die Unsterblichkeit der Henrietta Lacks
so überzeugt, dass sie während der zweiten Radiumbehandlung im Krankenhaus gleichzeitig noch eine Nasenoperation vornahmen und die schief stehende Nasenscheidewand begradigten, die ihr während ihres ganzen Lebens immer wieder Nebenhöhleninfektionen und Kopfschmerzen beschert hatte. Es war ein richtiger Neuanfang. Und mit der Strahlentherapie sollte nur sichergestellt werden, dass keine Krebszellen zurückgeblieben waren.
Aber ungefähr zwei Wochen nach der zweiten Radiumtherapie bekam Henrietta ihre Periode. Es war eine schwere Blutung, und sie hörte nicht auf. Auch Wochen später – am 20. März, als Day sie wie jeden Tag zur Strahlenbehandlung ins Hopkins brachte -, blutete sie noch. Sie zog ein Operationshemd an, legte sich auf einen Untersuchungstisch, über dem an der Wand eine riesige Maschine angebracht war, und ein Arzt schob ihr Streifen aus Blei in die Scheide, um den Darm und den unteren Teil der Wirbelsäule vor der Strahlung zu schützen. Am ersten Tag brachte er mit abwaschbarer Tinte zwei schwarze Markierungen rechts und links, knapp oberhalb der Gebärmutter, auf ihrem Bauch an. Das waren die Zielpunkte: Mit ihrer Hilfe konnte er die Strahlung jeden Tag auf die gleiche Stelle richten, wobei er zwischen den beiden Punkten abwechselte, um die Haut nicht an einer Stelle über Gebühr zu beanspruchen.
Nach der Behandlung zog Henrietta sich jedes Mal wieder an und ging die paar Häuserblocks zu Margaret. Dort wartete sie, bis Day sie ungefähr um Mitternacht abholte. In der ersten Woche saß sie jeden Abend mit Margaret auf der Terrasse. Sie spielten Karten oder Bingo und sprachen über die Männer, die Vettern, die Kinder. In diesem Stadium schien die Bestrahlung nicht mehr als eine kleine Unannehmlichkeit zu sein. Henriettas Blutungen hörten auf, und falls sie sich nach der Therapie nicht wohlgefühlt haben sollte, sprach sie jedenfalls nicht darüber.
In Wirklichkeit war aber durchaus nicht alles in schöner Ordnung. Gegen Ende der Therapie fragte Henrietta den Arzt, wann es ihr wieder so gut gehen würde, dass sie noch ein Kind bekommen könne. Bisher war ihr nicht klar gewesen, dass die Therapie sie unfruchtbar gemacht hatte.
Eigentlich war es am Hopkins allgemein üblich, die Patientinnen vor einer Krebstherapie auf den Verlust ihrer Gebärfähigkeit
hinzuweisen, und nach Angaben von Howard Jones taten er und TeLinde es in jedem einzelnen Fall. Eineinhalb Jahre bevor Henrietta zur Therapie ans Hopkins gekommen war, hatte TeLinde in einem Fachartikel über die Gebärmutterentfernung sogar geschrieben:
Die Hysterektomie hat insbesondere auf junge Patientinnen erhebliche psychische Auswirkungen, und man sollte den Eingriff nicht vornehmen, ohne dass gründliche Kenntnisse aufseiten der Patientin vorhanden sind. Diese hat ein Recht auf eine einfache Aufklärung über die Tatsachen einschließlich des Verlusts der Fortpflanzungsfunktion … Es ist gut, einer solchen Person die Tatsachen zu erläutern und ihr ausreichend Zeit zu geben, um sie zu verarbeiten … Wenn sie sich vor der Operation darauf einstellen kann, ist das weit besser, als wenn sie aus der Narkose aufwacht und vor vollendete Tatsachen gestellt wird.
Dieses Mal jedoch war etwas schiefgegangen. In Henriettas Krankenakte hatte einer der Ärzte geschrieben: »Habe ihr gesagt, dass sie keine weiteren Kinder haben kann. Sie gibt an, wenn man ihr dies vorher gesagt hätte, hätte sie die Therapie nicht fortgesetzt.« Als sie es nun erfuhr, war es zu spät.
Drei Wochen nach Beginn der Bestrahlungstherapie spürte sie ein Brennen im Unterleib, und beim Wasserlassen fühlte sich ihr Urin an wie Glassplitter. Day erzählte, er habe einen seltsamen Ausfluss gehabt, und mit dieser Krankheit, deretwegen sie ins Hopkins ging, habe sie ihn angesteckt.
»Ich kann mir eher vorstellen, dass es umgekehrt war«, schrieb Jones in Henriettas Krankenakte, nachdem er sie untersucht hatte. »Aber wie dem auch sei, diese Patientin hat jetzt… eine akute Gonorrhöe, die der Reaktion auf die Bestrahlung überlagert ist.«
Wenig später war Days Ausfluss noch die kleinste von Henriettas Sorgen. Der kurze Fußweg zu Margaret fühlte sich von Mal zu Mal länger an, und wenn Henrietta dort ankam, wollte sie nur noch schlafen. Eines Tages wäre sie wenige Häuserblocks vor dem Hopkins fast zusammengebrochen, und für den Weg brauchte sie nahezu eine Stunde. Von jetzt an nahm sie sich ein Taxi.
Eines Nachmittags lag Henrietta auf der Couch, hob die
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