Die Unsterblichkeit der Henrietta Lacks
gefunden. Auf der ganzen Welt erschienen Schlagzeilen wie:
Carrels Wunderentdeckung weist den Ausweg aus dem Älterwerden!
Wissenschaftler züchten unsterbliches Hühnerherz …
Lässt sich das Sterben verhindern?
Wissenschaftler bezeichneten Carrels Hühnerherzzellen als eine der wichtigsten Entdeckungen des Jahrhunderts und erklärten, mit der Zellkultur werde man alle möglichen Rätsel lösen können, von Ernährung und Sexualität bis »zur Musik eines Bach, den Gedichten eines Milton und dem Genie eines Michelangelo«. Carrel wurde zu einem wissenschaftlichen Messias. Zeitschriften bezeichneten sein Zellkulturmedium als »Elixier der Jugend« und behaupteten, man müsse nur darin baden, um ewig zu leben.
Aber Carrel interessierte sich nicht dafür, den Massen die Unsterblichkeit zu bringen. Er war Eugeniker: Organtransplantation und Lebensverlängerung waren für ihn Methoden, um das zu erhalten, was er für die überlegene weiße Rasse hielt. Diese, so glaubte er, werde durch weniger intelligente, minderwertige Gruppen verunreinigt, nämlich durch Arme, Ungebildete und alle, die nicht weiß waren. Er träumte vom nie endenden Leben für jene, die er dessen für würdig hielt, und von Tod oder Zwangssterilisation für alle anderen. Später lobte er Hitler für die »energischen Maßnahmen«, die er in dieser Richtung unternahm.
Carrels exzentrische Ansichten flossen in den Presserummel um seine Arbeit ein. Er war ein stämmiger Franzose, der schnell redete und dessen Augen zwei verschiedene Farben hatten – das eine war braun, das andere blau. Kaum einmal ging er ohne seine Chirurgenkappe aus dem Haus. Fälschlich glaubte er, Licht könne für Zellkulturen tödlich sein; deshalb sah sein Labor aus wie die Negativaufnahme einer Ku-Klux-Klan-Demonstration: Die technischen Assistentinnen arbeiteten
in langen schwarzen Mänteln, und auf dem Kopf trugen sie schwarze Mützen mit schmalen Augenschlitzen. Sie saßen auf schwarzen Hockern an schwarzen Labortischen in einem Raum, dessen Fußboden, Decke und Wände schwarz gestrichen waren. Die einzige Lichtquelle bestand aus einem kleinen, verstaubten Oberlicht.
Carrel war Mystiker: Er glaubte an Telepathie und Hellsehen, außerdem hielt er es für möglich, dass man Menschen durch Sauerstoffentzug und Kühlung mehrere Jahrhunderte überleben lassen konnte. Irgendwann baute er seine Wohnung zu einer Kapelle um, hielt Vorträge über medizinische Wunder und erzählte den Journalisten, es sei sein Traum, nach Südamerika zu ziehen und Diktator zu werden. Andere Wissenschaftler distanzierten sich von ihm und kritisierten ihn wegen unwissenschaftlichen Arbeitens; viele Weiße in Amerika machten sich aber seine Ideen zu eigen und sahen in ihm einen spirituellen Ratgeber und ein echtes Genie.
Reader’s Digest druckte Artikel von Carrel, in denen er Frauen riet: »Ein Ehemann soll nicht von einer übermäßig sexualisierten Ehefrau zum Vollzug des Aktes veranlasst werden« – angeblich trockne Sex das Gehirn aus. In seinem Bestseller Man, the Unknown schlug er vor, einen angeblichen »Fehler« in der US-Verfassung zu korrigieren: den Satz, der die Gleichheit aller Menschen festschrieb. »Schwachsinnige und Genies sollten vor dem Gesetz nicht gleich sein«, schrieb er. »Die Dummen, die Unintelligenten, diejenigen, die zerstreut und nicht in der Lage sind, genügend Aufmerksamkeit und Anstrengung aufzubringen, sollten kein Recht auf eine höhere Schulbildung haben.«
Sein Buch verkaufte sich mehr als zwei Millionen Mal und wurde in 20 Sprachen übersetzt. Tausende kamen zu Carrels Vorträgen, und manchmal rückten Polizisten in Kampfanzügen an, um die Ordnung wiederherzustellen, weil die Säle überfüllt waren und Fans abgewiesen werden mussten.
Derweil waren Presse und Öffentlichkeit ganz versessen auf Carrels unsterbliches Hühnerherz. Die Zeitung New York World Telegram forderte den Franzosen jedes Jahr am Neujahrstag auf, die Zellen zu kontrollieren; und über Dekaden hinweg tischte am 17. Januar, wenn Carrel und seine Assistenten in schwarzen Anzügen Aufstellung nahmen und den Zellen ein Geburtstagsständchen brachten, immer irgendeine Zeitung die ewig gleiche Geschichte auf:
Hühnerherzzellen leben jetzt schon zehn Jahre… vierzehn Jahre … zwanzig Jahre …
Jedes Mal versprachen die Zeitungen, die Zellen würden die Medizin von Grund auf revolutionieren, aber nichts geschah. Nur dass Carrels Behauptungen immer fantastischer wurden. Irgendwann
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