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Die Unsterblichkeit der Henrietta Lacks

Titel: Die Unsterblichkeit der Henrietta Lacks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Skloot
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erklärte er, die Zellen würden »ein Volumen erreichen, größer als das des Sonnensystems«. The Literary Digest berichtete, die Zellen könnten bereits »die ganze Erde bedecken«, und ein britisches Boulevardblatt schrieb, sie könnten »einen Hahn bilden … der groß genug ist, um den Atlantik mit einem einzigen Schritt zu überqueren, einen so gewaltigen Vogel, dass er, auf dieser irdischen Kugel hockend, aussehen würde wie ein Wetterhahn«. Eine ganze Reihe von Bestsellern warnten vor den Gefahren der Gewebekultur: Ein Buch prophezeite, schon bald würden 70 Prozent der Babys in Zellkulturen heranwachsen; ein anderes sagte voraus, die Gewebekultur werde riesige »Neger« und Kröten mit zwei Köpfen hervorbringen.
    Endgültig fand die Angst vor der Gewebekultur ihren Weg in die amerikanischen Wohnzimmer jedoch durch eine Folge von Lights Out , einer in den 1930er Jahren beliebten Gruselsendung im Radio: Sie erzählte die Geschichte eines fiktiven Dr. Alberts, der in seinem Labor ein unsterbliches Hühnerherz erschaffen hatte. Es wuchs unkontrolliert immer weiter, füllte
bald die Straßen der Stadt wie der Blob und fraß alle und alles, was ihm in die Quere kam. Schon nach zwei Wochen hatte es das ganze Land zerstört.
    Den wirklichen Hühnerherzzellen erging es nicht so gut. Wie sich herausstellte, hatten die ursprünglichen Exemplare wahrscheinlich überhaupt nicht lange überlebt. Jahre nach Carrels Tod – ihm stand zu der Zeit ein Prozess wegen Kollaboration mit den Nazis bevor – kam das Hühnerherz dem Wissenschaftler Leonard Hayflick verdächtig vor. Nie war es gelungen, Carrels Arbeiten zu wiederholen, und »seine« Zellen schienen eine Grundregel der Biologie Lügen zu strafen: Normale Zellen machen nämlich nur eine begrenzte Anzahl von Teilungen durch und sterben dann ab. Hayflick untersuchte die Zellen und gelangte zu dem Schluss, dass die ursprünglichen Hühnerherzzellen tatsächlich abgestorben waren, kurz nachdem Carrel sie in die Kultur genommen hatte. Absichtlich oder unabsichtlich hatte der Franzose jedes Mal, wenn er seine Kulturen mit einem »Embryonensaft« aus zerkleinertem Gewebe fütterte, neue Zellen in die Kulturschalen gebracht. Mindestens eine von Carrels früheren Laborassistentinnen bestätigte Hayflicks Verdacht. Die Theorie konnte aber niemand mehr überprüfen, denn zwei Jahre nach Carrels Tod warf seine Assistentin die berühmten Hühnerherzzellen ohne viel Federlesen in den Mülleimer.
    Wie dem auch sei: 1951, als Henrietta Lacks’ Zellen in Geys Labor zu wachsen begannen – seit dem öffentlichkeitswirksamen »Tod« von Carrels Hühnerherzzellen waren gerade einmal fünf Jahre vergangen -, genossen unsterbliche Zellen beim allgemeinen Publikum keinen guten Ruf. Gewebekultur wurde mit Rassismus, gruseliger Science-Fiction, Nazis und Quacksalberei in Verbindung gebracht. Sie war nichts, was man feierte, nichts, dem man auch nur größere Aufmerksamkeit schenkte.

8
    »Ein elender Fall«
    A nfang Juni sagte Henrietta mehrfach, sie habe den Eindruck, der Krebs breite sich in ihrem Körper aus. Die Ärzte konnten aber nichts feststellen. Einer schrieb in ihre Krankenakte: »Patientin erklärt, sie fühle sich recht wohl, sie klagt aber weiterhin über unbestimmte Beschwerden im Unterbauch … Kein Hinweis auf Rezidiv. Neuerliche Untersuchung in einem Monat.«
    Nichts spricht dafür, dass Henrietta die Diagnose infrage gestellt hätte; wie die meisten Patienten in den 1950er Jahren schickte auch sie sich in alles, was die Ärzte sagten. Zu jener Zeit war die »wohlmeinende Täuschung« allgemein üblich – die Ärzte enthielten ihren Patienten oft selbst grundlegende Informationen vor und nannten in manchen Fällen nicht einmal eine Diagnose. Sie glaubten, es sei am besten, die Patienten nicht mit Angst einflößenden Begriffen wie Krebs , die sie nicht verstanden, zu verwirren oder gegen sich aufzubringen. Die Ärzte waren überzeugt, sie wüssten es am besten, und nur die wenigsten Patienten zogen das in Zweifel.
    Ganz besonders galt dies für schwarze Patienten auf öffentlichen Krankenhausstationen. Man schrieb das Jahr 1951 in Baltimore: Die Rassentrennung war Gesetz, und allgemein wurde erwartet, dass Farbige das professionelle Urteil von Weißen nicht infrage stellten. Viele Patienten mit dunkler Hautfarbe waren froh, dass sie überhaupt behandelt wurden; in den Krankenhäusern war die Diskriminierung weit verbreitet.
    Ob Henriettas Therapie anders ausgesehen

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