Die Unsterblichkeit der Henrietta Lacks
Gefäßen ihrer Zellen in schneller Folge mehrere wichtige Entdeckungen. Als Erstes entwickelte eine Arbeitsgruppe mit den HeLa-Zellen neue Methoden, um Zellen einzufrieren, ohne sie zu schädigen oder zu verändern. Damit eröffnete sich die Möglichkeit, Zellen in die ganze Welt zu verschicken und dazu die bereits standardisierte Methode zum Versand gefrorener Lebensmittel und gefrorenen Spermas (für die Rinderzucht) zu verwenden. Außerdem bedeutete es, dass Wissenschaftler die Zellen zwischen ihren Experimenten aufbewahren konnten, ohne dass sie sich darum kümmern mussten, sie zu füttern und keimfrei zu halten. Am spannendsten aber war, dass man nun eine Methode hatte, um Zellen in verschiedenen Daseinszuständen »einzufrieren«.
Eine Zelle einzufrieren ist so ähnlich, als würde man einen
Pause-Knopf drücken: Zellteilung, Stoffwechsel und alle anderen biologischen Vorgänge kommen einfach zum Stillstand und werden nach dem Auftauen wieder aufgenommen, als hätte man die Play-Taste betätigt. Nun konnte man die Zellen während eines Experiments für unterschiedlich lange Zeiträume ruhigstellen und so vergleichen, wie sie beispielsweise eine, zwei und drei Wochen nach der Behandlung auf einen bestimmten Medikamentenwirkstoff reagierten. Man konnte sich die gleichen Zellen zu verschiedenen Zeitpunkten ansehen und untersuchen, wie sie sich mit fortschreitendem Alter veränderten. Und durch das Einfrieren von Zellen zu verschiedenen Zeitpunkten, so glaubte man, könnte man auch den Augenblick beobachten, in dem eine normale, in der Gewebekultur wachsende Zelle bösartig wird, ein Ereignis, das man als spontane Transformation bezeichnet.
Aber das Einfrieren war nur eine von mehreren dramatischen Verbesserungen, die mit den HeLa-Zellen Einzug in das Forschungsgebiet der Gewebekultur hielten. Sehr wichtig war auch die Standardisierung. Gey und seine Kollegen hatten sich stets beschwert, sie müssten viel zu viel Zeit darauf verwenden, die Nährlösungen herzustellen und die Zellen am Leben zu erhalten. Vor allem aber benutzte jeder andere Zutaten und Rezepturen für seine Nährmedien, andere Zellen und andere Methoden; außerdem kannte kaum jemand die Arbeitsweise seiner Kollegen. Deshalb, so die Sorge, würde es schwierig oder sogar unmöglich werden, die Experimente anderer zu reproduzieren. Diese Wiederholbarkeit ist im naturwissenschaftlichen Denken aber ein entscheidender Faktor: Eine Entdeckung wird nur dann anerkannt, wenn andere die Arbeiten nachvollziehen können und dabei zu dem gleichen Ergebnis gelangen. Ohne standardisierte Materialien und Methoden, so fürchtete man, würde das Fachgebiet der Zellkultur in Gefahr geraten zu stagnieren.
Gey und einige seiner Kollegen hatten bereits ein Komitee zur Entwicklung von Verfahrensweisen gegründet, um damit »die Technik der Gewebekultur zu vereinfachen und zu standardisieren«. Außerdem hatten sie zwei junge Lieferfirmen für biologisches Material – Microbiological Associates und Difco Laboratories – dafür gewinnen können, die nötigen Zutaten für Zellkulturmedien zu produzieren und zu verkaufen, und hatten die Leute dort in die entsprechenden Methoden eingeführt. Die Unternehmen hatten gerade mit dem Vertrieb von Zutaten für Nährlösungen begonnen, aber die Flüssigkeiten als solche mussten die Wissenschaftler immer noch selbst herstellen, und dazu bediente sich jeder eines anderen Rezepts.
Die Standardisierung des Fachgebiets wurde erst möglich, als mehrere Voraussetzungen vorlagen: Erstens begann Tuskegee mit der Massenproduktion von HeLa-Zellen; zweitens entwickelte der Wissenschaftler Harry Eagle an den National Institutes of Health (NIH) mithilfe der HeLa-Zellen das erste Standardkulturmedium, das man literweise herstellen und gebrauchsfertig verschicken konnte; und drittens untersuchten Gey und mehrere andere mithilfe der HeLa-Zellen, welche Glasgefäße und Reagenzglasverschlüsse am unschädlichsten für die Zellen waren.
Erst jetzt konnten Wissenschaftler auf der ganzen Welt mit den gleichen Zellen arbeiten, sie in den gleichen Nährlösungen züchten und die gleichen Gerätschaften benutzen, die man kaufen und ins Labor liefern lassen konnte. Und wenig später benutzte man sogar die ersten Klone menschlicher Zellen – ein Fortschritt, auf den man seit Jahren hingearbeitet hatte.
Wenn wir heute das Wort Klon hören, denken wir an Wissenschaftler, die mit der DNA eines Elternteils lebende Tiere erschaffen – beispielsweise das
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