Die Unsterblichkeit der Henrietta Lacks
berühmte Klonschaf Dolly. Bevor man aber ganze Tiere klonen konnte, klonte man einzelne Zellen – die von Henrietta.
Um verstehen zu können, warum das Klonen der Zellen so wichtig war, muss man zweierlei wissen: Erstens war die Zelllinie HeLa nicht aus einer einzigen Zelle von Henrietta entstanden. Sie ging vielmehr auf ein Stückchen ihres Tumors zurück, das heißt auf einen ganzen Zellhaufen. Und zweitens: Selbst wenn Zellen der gleichen Gewebeprobe entstammen, verhalten sie sich oft unterschiedlich: Manche wachsen beispielsweise schneller als andere, manche produzieren mehr Polioviren, und manche sind resistent gegen bestimmte Antibiotika. Die Wissenschaftler wollten Zellklone züchten, Zelllinien, die jeweils von einer einzigen Zelle abstammen, um anschließend deren einzigartige Merkmale nutzen zu können. Dies gelang einer Wissenschaftlergruppe in Colorado mit den HeLa-Zellen, und bald darauf hatte die Welt der Wissenschaft nicht nur HeLa, sondern auch Hunderte und später Tausende von HeLa-Klonen.
Die ersten Zellkultur- und Klonmethoden, die mithilfe der HeLa-Zellen entwickelt wurden, führten später zu vielen weiteren Fortschritten: Isolierung von Stammzellen, Klonen ganzer Tiere und künstliche Befruchtung. Und da HeLa in den meisten Instituten die menschliche Standardzelllinie war, wurde sie auch zu Forschungsarbeiten eingesetzt, die das neue Fachgebiet der Humangenetik voranbrachten.
Man hatte lange geglaubt, menschliche Zellen würden 48 Chromosomen enthalten, die DNA-Fäden, in denen unsere genetischen Informationen gespeichert sind. Aber Chromosomen ballen sich zusammen, so dass man sie nicht genau zählen kann. Im Jahr 1953 mischte dann ein Genetiker in Texas zufällig die falsche Flüssigkeit mit HeLa und einigen anderen Zellen. Wie sich herausstellte, war es ein Fehler mit erfreulichen Folgen. Die Chromosomen in den Zellen schwollen an und breiteten sich aus, so dass die Wissenschaftler sie nun zum ersten Mal einzeln erkennen konnten. Diese Zufallsentdeckung war die erste von
mehreren Entwicklungen, durch die zwei Wissenschaftler aus Spanien und Schweden dann nachweisen konnten, dass normale menschliche Zellen jeweils 46 Chromosomen besitzen.
Nachdem die Wissenschaftler nun wussten, wie viele Chromosomen ein Mensch normalerweise besitzt, konnten sie auch feststellen, wenn es zu viele oder zu wenige waren, und das wiederum ermöglichte die Diagnose genetisch bedingter Erkrankungen. Schon nach kurzer Zeit identifizierten Wissenschaftler auf der ganzen Welt verschiedene Chromosomenstörungen. Unter anderem entdeckten sie, dass Patienten mit dem Down-Syndrom ein überzähliges Chromosom Nummer 21 besitzen; beim Klinefelter-Syndrom ist ein überzähliges Geschlechtschromosom vorhanden, und beim Turner-Syndrom fehlt ein Geschlechtschromosom teilweise oder ganz.
Angesichts all dieser neuen Entwicklungen wuchs der Bedarf an HeLa-Zellen, und Tuskegee allein war nicht mehr groß genug, um ihn zu stillen. Der Eigentümer von Microbiological Associates, ein Soldat namens Samuel Reader, verstand nichts von Wissenschaft, aber Monroe Vincent, sein Geschäftspartner, war Wissenschaftler und begriff, welcher Markt sich für die Zellen möglicherweise eröffnete. Viele Wissenschaftler brauchten Zellen, aber den meisten fehlte es an der notwendigen Zeit und an den Fähigkeiten, sie in ausreichend großen Mengen zu züchten. Sie wollten die Zellen einfach kaufen. Also nutzten Reader und Vincent gemeinsam die HeLa-Zellen als Sprungbrett für die Gründung des ersten Zellvertriebszentrums, das gewinnorientiert und im industriellen Maßstab arbeitete.
Es begann mit einer Einrichtung, die Reader liebevoll als seine Zellfabrik bezeichnete. In Bethesda in Maryland, mitten in einer großen Halle, in der sich früher eine Fabrik für Maisgebäck befunden hatte, baute er einen Raum mit Glaswänden, in dem ein Förderband mit Hunderten von Reagenzglashaltern rotierte.
Außerhalb des gläsernen Raumes ließ er eine Anlage mit riesigen Gefäßen für das Kulturmedium errichten; sie ähnelte der in Tuskegee, war aber viel größer. Wenn Zellen versandfertig waren, ließ er eine laute Glocke ertönen, und alle Arbeiter im Gebäude einschließlich der Angestellten in der Poststelle unterbrachen ihre Tätigkeit, reinigten sich an der Sterilisierungsstation, legten Hauben und Kittel an und stellten sich in einer Reihe am Förderband auf. Die einen füllten Röhrchen, andere versahen sie mit Gummipfropfen, wieder andere
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