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Die Unsterblichkeit der Henrietta Lacks

Titel: Die Unsterblichkeit der Henrietta Lacks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Skloot
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stählerne Industrieautoklaven zur Dampfsterilisierung, lange Reihen von riesigen mechanischen Rührgefäßen voller Kulturmedium sowie Brutschränke, zahlreiche Zellkulturflaschen und Zellabfüllautomaten – große Apparaturen mit langen, dünnen Metallarmen, die HeLa-Zellen in ein Kulturgefäß nach dem anderen pumpten. Die Arbeitsgruppe am Tuskegee Institute mischte jede Woche mehrere tausend Liter Gey-Kulturmedium. Es enthielt Salze, Mineralstoffe und Blutserum, das sie von Studenten, Soldaten und Baumwollfarmern gewannen – diese meldeten sich auf Anzeigen in der örtlichen Presse, mit denen Blutspender gesucht wurden, gegen Bezahlung.
    Die Qualitätskontrolle übernahmen technische Assistentinnen: Sie sahen sich jede Woche Hunderttausende von HeLa-Kulturen unter dem Mikroskop an und vergewisserten sich, dass die Zellen am Leben und gesund waren. Andere verschickten sie nach einem strengen Zeitplan an die Wissenschaftler von 23 Polioversuchszentren im ganzen Land.
    Am Ende war die Arbeitsgruppe am Tuskegee Institute auf 35 Wissenschaftler und Assistentinnen angewachsen und produzierte jede Woche 20 000 HeLa-Röhrchen – ungefähr sechs Billionen Zellen. Es war die erste Zellfabrik der Geschichte, und ihr Ausgangsmaterial war ein einziges Gefäß mit HeLa-Zellen, das Gey kurz nach Henriettas Tod im Rahmen des ersten Versandversuchs an Scherer geschickt hatte.
    Mithilfe dieser Zellen konnten die Wissenschaftler nachweisen, dass der Salk-Impfstoff tatsächlich wirkte. Wenig später zeigten Bilder in der New York Times farbige Frauen, die sich über Mikroskope beugten, und schwarze Hände, die Gefäße mit HeLa-Zellen hielten. Die Schlagzeilen lauteten:
    Arbeitsgruppe am Tuskegee Institute hilft bei der Bekämpfung der Kinderlähmung
    Mannschaft von Negerwissenschaftlern spielt eine Schlüsselrolle für die Erprobung von Dr. Salks Impfstoff
    Hier werden HeLa-Zellen gezüchtet
    Farbige Wissenschaftler und Assistenten, darunter viele Frauen, trugen mithilfe der Zellen einer farbigen Frau dazu bei, das Leben von Millionen – überwiegend weißen – Amerikanern zu retten. Das taten sie auf demselben Universitätsgelände, auf dem staatliche Behörden die berüchtigten Tuskegee-Syphilisstudien durchführten – und zwar genau zur gleichen Zeit.
     
    Anfangs lieferte das Tuskegee Center die HeLa-Zellen nur an Poliotestlabors. Als sich aber herausstellte, dass bei den Zellen keine Knappheit drohte, schickte man sie an jeden Wissenschaftler, der bereit war, sie für zehn Dollar plus Luftfrachtgebühr zu erwerben. Wenn Forscher herausfinden wollten, wie sich Zellen in einer bestimmten Umgebung verhalten, wie sie auf bestimmte Chemikalien reagieren oder ob sie ein bestimmtes Protein produzieren, griffen sie auf die HeLa-Linie zurück. Der Grund: Obwohl es sich um Krebszellen handelt, haben HeLa-Zellen viele elementare Eigenschaften mit gesunden Zellen gemein. Sie produzieren Proteine und kommunizieren untereinander wie normale Zellen, sie teilen sich und generieren Energie, sie prägen Gene aus und regulieren sie, und sie sind anfällig für Infektionen. Damit waren sie das optimale Hilfsmittel, um alle möglichen Dinge an Zellkulturen zu untersuchen, unter anderem Bakterien, Hormone, Proteine und insbesondere Viren.
    Viren pflanzen sich fort, indem sie Stücke ihres genetischen Materials in eine lebende Zelle einschleusen und sie damit so
umprogrammieren, dass sie nicht mehr sich selbst reproduziert, sondern das Virus. Wenn es um Virenzucht ging – und auch bei vielen anderen Dingen -, erwies sich die Tatsache, dass die HeLa-Zellen bösartig waren, sogar als besonders nützlich. HeLa-Zellen vermehren sich viel schneller als normale Zellen und liefern entsprechend schneller Ergebnisse. HeLa war ein echtes Arbeitstier: widerstandsfähig, billig und leicht verfügbar.
    Der Zeitpunkt hätte besser nicht sein können. Anfang der Fünfzigerjahre hatte die Virusforschung gerade begonnen, und als Henriettas Zellen überall in den Vereinigten Staaten in die Labors kamen, brachten die Wissenschaftler sie mit allen möglichen Viren in Kontakt – Herpes, Masern, Mumps, Windpocken, Pferdeenzephalitis. Dabei ging es immer um die Frage, wie die Erreger in die Zellen eindringen, sich fortpflanzen und verbreiten.
    Henriettas Zellen trugen also dazu bei, das junge Fachgebiet der Virologie in Gang zu bringen, aber das war nur der Anfang. In den Jahren nach Henriettas Tod machten Wissenschaftler auf der ganzen Welt schon mit den ersten

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