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Die Unsterblichkeit der Henrietta Lacks

Titel: Die Unsterblichkeit der Henrietta Lacks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Skloot
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Kanüle und ein wenig Tinte tätowierte er ihr neben der Schwellung, die sich an der Injektionsstelle gebildet hatte, einen winzigen schwarzen Fleck. Jetzt wusste er, wo er nachsehen musste, wenn er die Frau einige Tage, Wochen und Monate später erneut untersuchte. Würde Henriettas Tumor im Arm dieser Frau weiterwachsen? Das Gleiche tat er bei rund einem Dutzend anderer Krebspatienten. Er erklärte ihnen, er wolle ihr Immunsystem prüfen; dass er dabei bösartige Zellen eines anderen Menschen spritzte, verriet er niemandem.
    Die Unterarme der Patienten röteten sich innerhalb weniger Stunden und schwollen an. Fünf bis zehn Tage später bildeten sich an der Injektionsstelle harte Knoten. Southam entfernte einige davon und untersuchte, ob sie krebsartig waren, andere aber beließ er an Ort und Stelle: Er wollte wissen, ob das Immunsystem sie abstoßen oder ob der Krebs sich ausbreiten würde. Nach zwei Wochen waren manche Tumore bereits auf eine Größe von zwei Zentimetern herangewachsen – so groß war Henriettas Tumor gewesen, als sie sich der Radiumbehandlung unterzogen hatte.
    Schließlich operierte Southam die meisten HeLa-Tumore heraus, und diejenigen, die er nicht entfernen konnte, verschwanden nach ein paar Monaten von selbst. Bei vier Patienten jedoch kamen die Knoten wieder. Er entfernte sie erneut, aber sie wuchsen immer wieder nach. Bei einem Patienten bildeten Henriettas Zellen auch Metastasen in den Lymphknoten.
    Alle diese Patienten hatten auch vorher schon Krebs gehabt. Nun wollte Southam wissen, wie gesunde Menschen auf die Injektion reagierten. Im Mai 1956 veröffentlichte er im Mitteilungsblatt
des Staatsgefängnisses von Ohio eine Anzeige: Arzt sucht 25 Freiwillige für die Krebsforschung . Ein paar Tage später hatte er 96 Versuchspersonen, und kurz darauf war die Zahl auf 150 gestiegen.
    Das Gefängnis in Ohio hatte er gewählt, weil die dortigen Häftlinge sich schon an mehreren anderen Studien ohne Widerstand beteiligt hatten, darunter eine, bei der man sie mit einer möglicherweise tödlichen Krankheit namens Tularämie infiziert hatte. Ungefähr 15 Jahre danach wurden solche Forschungsarbeiten an Gefängnisinsassen infrage gestellt und neuen, strengen Vorschriften unterworfen, weil Häftlinge als besonders gefährdete Bevölkerungsgruppe keine fundierte Einverständniserklärung abgeben konnten. Zu jener Zeit jedoch wurden in den Vereinigten Staaten landesweit alle möglichen wissenschaftlichen Untersuchungen an Gefängnisinsassen vorgenommen, von der Erprobung chemischer Kampfstoffe bis zur Erforschung der Frage, wie sich die Bestrahlung der Hoden mit Röntgenstrahlen auf die Zahl der Samenzellen auswirkt.
    Im Juni 1956 injizierte Southam den Häftlingen erstmals HeLa-Zellen, die seine Kollegin Alice Moore in einer Reisetasche von New York nach Ohio gebracht hatte. 65 Gefangene – Mörder, Betrüger, Räuber, Urkundenfälscher – saßen aufgereiht auf Holzbänken und warteten auf die Spritze. Manche von ihnen trugen weiße Krankenhauswäsche; andere kamen im Blaumann direkt von der Arbeit.
    Wie bei den Krebspatienten, so bildeten sich auch auf den Armen der Häftlinge sehr schnell Tumore. Die Zeitungen brachten einen Bericht nach dem anderen über die tapferen Männer im Gefängnis von Ohio und lobten sie als »die ersten gesunden Menschen, die sich zu solchen rigorosen Experimenten mit Krebs bereit erklären«. Einen Mann zitierten sie mit den Worten: »Ich müsste lügen, wenn ich sagen würde, dass ich
nicht beunruhigt bin. Da liegt man in der Koje und denkt daran, dass man Krebs im Arm hat … Junge, Junge, was soll man davon halten?«
    Immer wieder fragten die Reporter: »Warum haben Sie sich für diese Untersuchung gemeldet?«
    Die Antworten der Gefängnisinsassen kamen gebetsmühlenartig: »Ich habe einem kleinen Mädchen großes Unrecht angetan, und das möchte ich ein kleines bisschen wiedergutmachen.«
    »Ich glaube, was ich getan habe, war in den Augen der Gesellschaft schlecht, und jetzt möchte ich einmal etwas Gutes tun.« Southam gab jedem Häftling mehrere Krebsinjektionen. Im Gegensatz zu den todkranken Patienten wehrte der Organismus dieser Männer den Krebs vollständig ab. Mit jeder neuen Injektion kam die Reaktion schneller. Das schien darauf hinzudeuten, dass sich die Abwehrkräfte gegen Krebs durch die Zellen verstärkten. Als Southam seine Befunde veröffentlichte, wurden sie in der Presse gefeiert. Sie seien ein Durchbruch und könnten eines Tages zu einem

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