Die Unsterblichkeit der Henrietta Lacks
Tag, zettelte Streit mit seinen Vettern an und drohte mehreren von ihnen, darunter auch Cootie, sie umzubringen. Als er ungefähr eine Woche dort war, rief Cootie bei Day an und sagte, jemand solle Joe abholen, bevor er noch einen Menschen umbrachte oder selbst erschossen wurde. Sonny lieh sich Days Auto, holte Joe in Clover ab und
brachte ihn nach Washington, wo er bei einem Freund bleiben sollte. Aber auch dort kam er nicht zurecht. Am nächsten Morgen rief er Sonny an und sagte: »Los, hol mich ab, ich will mich stellen.«
Am Vormittag des 29. September 1970 betrat Joe das Polizeihauptquartier von Baltimore und sagte in aller Ruhe: »Ich bin Joe Lacks. Ich werde gesucht, weil ich Ivy getötet habe.« Dann fühlte er ein Formular aus:
Ist der Beschuldigte berufstätig?
Nein
Bargeld oder Bankguthaben?
Null
Name der Eltern?
David Lacks
Hatten Sie Kontakt mit ihnen?
Nein
Haben Sie Freunde oder Angehörige,
die Ihnen einen Anwalt besorgen
können?
Nein. Kann ich
mir nicht leisten.
Danach wartete Joe. Er hatte fest vor, sich schuldig zu bekennen, und wollte es einfach nur schnell hinter sich bringen. Nachdem er fünf Monate in einer Zelle auf seinen Prozess gewartet hatte, schrieb Joe an die Strafrichterin folgenden Brief:
Geehrter Sir oder Euer Ehren,
es ist eine krittische Zeit in der Atmosfäre auf dieser Erde durch meinen Feler nein ich würde sagen falsche Vorstellung von Schlechtigkeit die ich mir gemacht habe. Irrtum bei einem Poplem was nicht sein sollte. Ich fühle große Frustration weil ich mich so abschäulich benomen habe. Ich bitte (um eine schnelle Verhandlung) dass Sie mir sagen, was auf mich zukommt, denn ich merke dass ich bestraft oder
ausbaden muss für das Unrecht was ich gemacht habe. Deshalb möchte ich es jetzt hinter mich zu bringen.
Joe Lacks
(schnelle Verhandlung)
(danke)
(Euer Ehren)
Am 6. April 1971 schließlich, sieben Monate nach Ivys Tod, stand Joe vor Gericht und plädierte auf schuldig wegen Totschlags. Sonny saß in der Nähe und sah zu. Die Richterin warnte Joe mehrmals: Wenn er auf schuldig plädiere, verzichte er auf sein Recht auf einen Prozess, auf sein Recht auszusagen und auf sein Recht, gegen ihr Urteil Berufung einzulegen. Während die Richterin sprach, sagte er immer wieder »Ja, Ma’am« und »Nein, Ma’am«. Er erklärte, der Alkohol habe ihn zu der Tat getrieben und er habe Ivy nicht töten wollen. »Ich wollte ihn oben auf der Schulter treffen, aber dann hat er Panik bekommen und sich umgedreht, da hat er es in die Brust gekriegt«, sagte Joe. »Ich wollte ihn verletzen, damit er mir nicht mehr wehtun kann … An diesem Samstagabend hat er gesagt, er würde mich umbringen, und dann haben wir Streit gekriegt. Sie sehen doch hoffentlich, dass ich mein Leben schützen wollte. Ich wollte wirklich keinen Ärger mit allen diesen Sachen.«
Aber Ivys vierzehnjähriger Nachbar hatte alles mit angesehen und sagte aus, Joe sei geradewegs auf Ivy zugekommen und habe ihn in die Brust gestochen, und als dieser wegstolperte, habe er versucht, ihn auch noch in den Rücken zu stechen. Als Joe den Zeugenstand verließ, wandte sich sein Pflichtverteidiger mit einer letzten Bemerkung an die Richterin:
Euer Ehren, ich möchte nur noch hinzufügen, dass ich mit dem Bruder des jungen Mannes über ihn gesprochen habe.
Danach hat das gleiche Problem, das er schon bei der Armee hatte, ihn vermutlich auch in die Situation gebracht, deretwegen er heute hier vor Gericht steht. Aus irgendeinem Grund hat sich irgendwann in seinem Leben ein Minderwertigkeitskomplex ausgebildet. Es scheint, als würde er jedes Mal, wenn er sich mit einem anderen auseinandersetzen muss, recht aggressiv an die Sache herangehen, aggressiver als ein Durchschnittsmensch … und fürs Protokoll: Er hatte während des Militärdienstes eine gewisse psychiatrische Hilfe, war aber nie in einer Klinik.
Ohne etwas über Joes Leben oder die in seiner Kindheit erlittenen Misshandlungen zu wissen, sagte sein Anwalt: »Er hat stärker als der Durchschnittsmensch das Bedürfnis, sich selbst zu schützen. Möglicherweise rastet er deshalb aus, wo ein Durchschnittsmensch nicht ausrasten würde.«
»Nennen die Leute Sie den verrückten Joe?«, fragte die Richterin.
»Ein paar Freunde, ja«, erwiderte Joe.
»Wissen Sie, warum man Sie so nennt?«
»Nein, Ma’am.«
Die Richterin akzeptierte Joes Schuldbekenntnis, wollte jedoch medizinische und psychiatrische Gutachten einholen, bevor sie das Strafmaß festsetzte. Die
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