Die Unsterblichkeit der Henrietta Lacks
wieder aufgenommen.
Ende der 1990er Jahre verklagten zwei Frauen das Hopkins, weil Wissenschaftler ihre Kinder angeblich absichtlich mit Blei in Kontakt gebracht hatten, ohne die Eltern sofort zu informieren, als Untersuchungen eine erhöhte Konzentration des Metalls im Blut ergaben und als bei einem von ihnen sogar die Symptome einer Bleivergiftung auftraten. Die Forschungsarbeiten gehörten zu einer Studie, die sich mit Methoden zur Verringerung der Bleibelastung befasste, und bei allen betroffenen Familien handelte es sich um Farbige. Die Wissenschaftler hatten mehrere Wohnungen unterschiedlich stark mit Blei behandelt und dann die Vermieter aufgefordert, diese Wohnungen an Familien mit Kindern zu vermieten, damit man deren Bleibelastung untersuchen konnte. Anfangs wurden die Ermittlungen eingestellt. Als dagegen Berufung eingelegt wurde, verglich ein Wissenschaftler die Studie mit Southams HeLa-Injektionen, der Tuskegee-Studie und den Forschungen der Nazis. Am Ende wurde der Streit in einer außergerichtlichen Einigung beigelegt. Das Gesundheitsministerium stellte Ermittlungen an und gelangte zu dem Schluss, die in der Studie verwendeten Formulare für die Einverständniserklärung hätten »keine angemessene Beschreibung« der unterschiedlich starken Bleibelastung in den Wohnungen enthalten.
Doch wenn die Menschen heute über die früheren Beziehungen zwischen dem Hopkins und der Gemeinschaft der Farbigen sprechen, wird als schlimmste Beleidigung in vielen Fällen immer noch die Geschichte von Henrietta Lacks genannt – die
Geschichte einer farbigen Frau, deren Körper, wie es heißt, von weißen Wissenschaftlern ausgebeutet wurde.
Als wir in Lawrences Wohnzimmer saßen, tauschten sich Sonny und Bobbette fast eine Stunde lang lautstark darüber aus, wie man sich im Hopkins die Schwarzen geschnappt hätte. Schließlich lehnte Sonny sich in seinem Stuhl zurück und sagte: »John Hopkin hat uns keine Informationen über irgendwas gegeben. Das war der schlechte Teil. Nicht der traurige, aber der schlechte, denn ich weiß nicht, ob sie uns nicht informiert haben, weil sie Geld damit verdient haben, oder weil sie uns einfach im Unklaren lassen wollten. Ich glaube, sie haben Geld damit verdient, denn sie haben ihre Zellen auf der ganzen Welt verkauft und für Dollars verschickt.«
»Hopkins sagt, se ham die Zellen umsonst weggegeben«, rief Lawrence, »aber in Wirklichkeit ham se Millionen verdient! Das is ungerecht! Sie is der wichtigste Mensch auf der Welt, und ihre Familie lebt in Armut. Wenn unsere Mutter für die Wissenschaft so wichtig war, warum ham wir dann nich mal’ne Krankenversicherung?«
Day hatte Prostatakrebs und die Lunge voller Asbest. Sonny war herzkrank, Deborah litt an Arthritis, Osteoporose, nervlich bedingter Taubheit, Angstzuständen und Depressionen. Hinzu kamen in der ganzen Familie noch Bluthochdruck und Diabetes. Ihre Mitglieder finanzierten nach eigener Einschätzung recht kräftig die pharmazeutische Industrie und mehrere Ärzte. Aber mit ihren Versicherungen war das so eine Sache: Einige von ihnen waren durch das staatliche Programm Medicare abgesichert, andere hin und wieder durch ihre Ehepartner, aber alle hatten während gewisser Zeiten ohne Versicherungsschutz und ohne Geld für ärztliche Behandlung gelebt.
Während die Lacks-Männer über Hopkins und Versicherungen redeten, schnaubte Bobbette verächtlich und ging zu ihrem
Sessel im Wohnzimmer. »Mein Blutdruck geht rauf, aber daran werde ich nicht sterben, klar?« Das Ganze, so erklärte sie, sei es einfach nicht wert, dass man sich darüber aufrege. Aber sie konnte nicht anders. »Dass schwarze Leute verschwunden sind, weil Hopkins mit ihnen experimentiert hat, weiß doch jeder!«, rief sie. »Ich glaub, davon stimmt eine ganze Menge.« »Vermutlich«, ergänzte Sonny. »Aber vieles waren vielleicht auch Märchen. Man weiß nie. Aber eines wissen wir: Diese Zellen von meiner Mutter sind kein Märchen.«
»Weißt du, was’n Märchen is?«, fauchte Bobbette von ihrem Sessel aus. »Alle ham immer gesagt, dass Henrietta Lacks diese Zellen gespendet hat. Aber die hat gar nichts gespendet. Die ham se einfach genommen und nicht gefragt.« Sie holte tief Luft, um sich zu beruhigen. »Was Henrietta wirklich ärgern würde, ist, dass Dr. Gey der Familie nie irgendwas gesagt hat – wir ham nix von diesen Zellen gewusst, und er hat sich nicht drum gekümmert. Das hat uns echt genervt. Ich hab immer alle gefragt, warum keiner der
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