Die Unsterblichkeit der Henrietta Lacks
Ärzte der Nacht waren aber nicht nur eine Erfindung, die der Einschüchterung dienen sollte. Viele Ärzte erprobten Medikamente tatsächlich an Sklaven und operierten sie – häufig ohne Narkose -, um neue chirurgische Verfahren zu entwickeln. Weiter verstärkt wurde die Angst vor den Ärzten der Nacht Anfang des 20. Jahrhunderts, als Farbige in nördlicher Richtung nach Washington und Baltimore auswanderten. Dort verbreitete sich die Nachricht, dass die medizinischen Fakultäten Geld als Gegenleistung für Leichen anboten. Verstorbene Farbige wurden häufig zu Forschungszwecken exhumiert, und eine Untergrund-Versandbranche versorgte die Hochschulen im Norden mit farbigen Leichen aus dem Süden für ihre
Anatomiekurse. Die Leichen trafen – manchmal gleich dutzendweise – in Tonnen ein, auf denen die Aufschrift Terpentin stand.
Wegen dieser Vergangenheit glaubten die farbigen Bewohner in der Nähe des Hopkins über lange Zeit, man habe die Klinik zum Vorteil der Wissenschaftler in einer armen schwarzen Wohngegend gebaut – um ihnen leichten Zugang zu potenziellen Forschungsobj ekten zu verschaffen. In Wirklichkeit wurde sie zum Wohle der Armen von Baltimore errichtet.
Johns Hopkins wurde auf einer Tabakplantage in Maryland geboren, wo sein Vater die Sklaven schon fast 60 Jahre vor der allgemeinen Abschaffung der Sklaverei freiließ. Hopkins verdiente als Bankier und Kaufmann sowie durch den Vertrieb einer eigenen Whiskymarke viele Millionen Dollar, heiratete aber nie und hatte keine Kinder. Deshalb stiftete er 1873, kurz vor seinem Tod, sieben Millionen Dollar für den Aufbau einer medizinischen Fakultät und eines gemeinnützigen Krankenhauses. In einem Brief an die zwölf Männer, die er als Mitglieder des Treuhandgremiums ausgewählt hatte, umriss er seine Wünsche. Unter anderem erklärte er, das Hopkins Hospital solle denen helfen, die sonst keine medizinische Versorgung genossen:
Die mittellosen Kranken aus dieser Stadt und ihrer Umgebung, die einer chirurgischen oder medizinischen Behandlung bedürfen und die ohne Gefahr für andere in das Krankenhaus aufgenommen werden können, sowie die Armen aller Rassen der Stadt und des Staates, denen ein Unglück zugestoßen ist, sollen ohne Ansehen von Geschlecht, Alter oder Hautfarbe kostenlos in das Krankenhaus aufgenommen werden.
Er legte fest, dass man nur denjenigen Patienten ein Honorar berechnen sollte, die es sich ohne Weiteres leisten konnten, und dass das von ihnen eingenommene Geld zur Behandlung der Mittellosen aufgewendet werden sollte. Außerdem stellte er Immobilien im Wert von weiteren zwei Millionen Dollar sowie 20 000 Dollar Bargeld pro Jahr gezielt für die Unterstützung farbiger Kinder zur Verfügung:
Es wird hiernach Ihre Pflicht sein … geeignete Gebäude für die Aufnahme, den Unterhalt und die Erziehung farbiger Waisenkinder zur Verfügung zu stellen. Ich weise Sie an, Unterkünfte für drei- bis vierhundert Kinder dieser Art zu schaffen; Sie sind auch berechtigt, in dieses Asyl nach Ihrem Ermessen farbige, zu dieser Klasse gehörende Kinder aufzunehmen, welche nur einen Elternteil verloren haben, und in Ausnahmefällen auch farbige Kinder aufzunehmen, die keine Waisen sind, aber aufgrund ihrer Lebensumstände die Hilfe einer wohltätigen Organisation benötigen.
Nicht lange nachdem Hopkins diesen Brief geschrieben hatte, starb er. Sein Treuhändergremium – zu dem viele Freunde und Angehörige gehörten – baute eine der führenden medizinischen Hochschulen des Landes auf, und zu ihr gehörte ein Krankenhaus, dessen öffentliche Stationen den Armen, die meisten davon Farbige, kostenlose medizinische Versorgung im Wert von vielen Millionen Dollar zur Verfügung stellte. Doch makellos ist die Geschichte des Hopkins Hospital bestimmt nicht, wenn es um farbige Patienten geht. Im Jahr 1969 suchte ein Wissenschaftler der Institution in Blutproben von mehr als 7000 Kindern aus der Umgebung – die meisten von ihnen aus armen farbigen Familien – nach einer genetischen Veranlagung zu kriminellem Verhalten. Einverständniserklärungen holte er dazu nicht ein. Die American Civil Liberties
Union verklagte ihn mit der Begründung, die Studie verletze die Bürgerrechte der Jungen und die Vertraulichkeit des Verhältnisses zwischen Arzt und Patient, weil die Ergebnisse den Behörden und Jugendgerichten zugänglich gemacht wurden. Daraufhin wurde die Studie abgebrochen und wenige Monate später unter Verwendung von Einverständniserklärungen
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