Die Unsterblichkeit der Henrietta Lacks
Teil am Leben«, erzählte er mir viele Jahre später. »Sie haben gesagt, sie machen Experimente mit ihr und sie wollten kommen und meine Kinder untersuchen und feststellen, ob sie auch diesen Krebs haben, an dem ihre Mutter gestorben ist.«
Hsu hatte aber gar nichts von einer Untersuchung der Kinder auf Krebs gesagt. So etwas wie einen »Krebstest« gab es nicht, und selbst wenn er existiert hätte, wäre er nicht im Labor von McKusick durchgeführt worden, denn der war kein Krebsforscher. McKusick war ein angesehener Genetiker: Er hatte am Hopkins das erste humangenetische Institut der Welt gegründet und unterhielt dort einen Katalog mit vielen hundert Genen, darunter einige, die er selbst in der Bevölkerungsgruppe der Amish entdeckt hatte. Die Informationen über bekannte Gene und die an ihnen gewonnenen wissenschaftlichen Erkenntnisse sammelte er in einer Datenbank namens Mendelian Inheritance in Man . Sie enthält heute fast 20 000 Einträge, wächst immer noch und gilt als die Bibel des Fachgebiets.
McKusick und Hsu hatten vor, bei der Familie Lacks mithilfe der somatischen Zellhybridisierung nach mehreren genetischen Markern zu suchen, unter anderem auch nach bestimmten Proteinen, die als HLA-Marker bezeichnet werden. Durch die Untersuchung von Henriettas Kindern wollten sie herausfinden, wie die HLA-Marker ihrer Mutter ausgesehen hatten, um sie anschließend in ihren Zellen identifizieren zu können. Hsu war erst kurz zuvor aus China nach Amerika gekommen, und Englisch war nicht ihre Muttersprache. Als sie 1973 bei Day anrief, sagte sie ihm ihren eigenen Angaben zufolge: »Wir kommen zu Ihnen und nehmen Blut ab, um HLA-Androgene zu gewinnen. Wir machen ein genetisches Markerprofil, weil wir aus den Kindern und dem Ehemann viel über den Genotyp von Henrietta Lacks ableiten können.«
Auf meine Frage, ob sie den Eindruck gehabt habe, dass Day sie verstand, erwiderte Hsu: »Sie waren sehr empfänglich für uns, als ich angerufen habe. Sie sind ziemlich intelligent. Ich glaube, Mr. Lacks wusste eigentlich schon, dass seine Frau einen Beitrag geleistet hatte, und war sich des Wertes der HeLa-Zellen durchaus bewusst. Vermutlich hatten sie gehört, wie
die Leute darüber geredet hatten, dass die Zelllinie etwas sehr Wichtiges ist. Damals haben alle über HeLa geredet. Sie sind eine sehr nette Familie, und sie haben sehr nett zugelassen, dass wir ihnen Blut abgenommen haben.«
Hsu hatte einen starken Akzent, und Day auch – er sprach einen so breiten ländlichen Südstaatenslang, dass selbst seine Kinder ihn oft kaum verstanden. Aber die Sprache war nicht die einzige Barriere. Akzent hin oder her, Day begriff nicht, was unsterbliche Zellen oder HLA-Marker waren – er war nur vier Jahre zur Schule gegangen und hatte nie naturwissenschaftlichen Unterricht gehabt. Die einzigen Zellen, von denen er schon einmal gehört hatte, waren diejenigen, in denen Zakariyya und andere in Hagerstown einsaßen. Also tat er, was er immer tat, wenn er die Worte eines Arztes nicht verstand: Er nickte und sagte ja.
Als ich mich viele Jahre später bei McKusick erkundigte, ob irgendjemand sich darum bemüht hätte, die Familie Lacks aufzuklären und ihr Einverständnis einzuholen, sagte er: »Ich vermute, man hat nicht versucht, irgendetwas im Einzelnen zu erklären. Aber ich glaube auch nicht, dass irgendjemand ihnen gesagt hat, wir würden auf Krebs testen, denn das war nicht der Fall. Sie haben wahrscheinlich nur gesagt: ›Ihre Mutter hatte Krebs, die Zellen aus diesem Krebs wachsen überall und werden in allen Einzelheiten studiert, und um das noch besser verstehen zu können, hätten wir gerne Blut von Ihnen.«
Die gleiche Frage stellte ich auch Susan Hsu. Ihre Antwort: »Nein. Wir haben sie nie Einverständniserklärungen ausfüllen lassen, denn wir wollten ja nur Blut abnehmen. Wissen Sie, wir betreiben keine langfristige medizinische Forschung. Wir wollten nur ein paar Röhrchen mit Blut, um auf genetische Marker zu testen. Dazu braucht man keine Ethikkommission oder so etwas.«
Eine solche Einstellung war zu jener Zeit nicht ungewöhnlich,
die Richtlinien der NIH setzten aber für alle von der Institution finanzierte Forschungsarbeiten an Versuchspersonen – also auch für die von McKusick – die Aufklärung und das Einverständnis der Betroffenen sowie die Genehmigung durch ein Gutachtergremium des Hopkins voraus. Diese Richtlinien hatte man 1966 im Gefolge des Southam-Prozesses eingeführt und 1971 um eine
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