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Die Unsterblichkeit der Henrietta Lacks

Titel: Die Unsterblichkeit der Henrietta Lacks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Skloot
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ausnehmen. Schließlich zapften Ärzte schon seit Jahrhunderten Blut zu diagnostischen Zwecken ab, und von den Schmerzen des Einstichs abgesehen schien dabei keine Gefahr zu bestehen. Aber das Ministerium akzeptierte diese Ausnahmen nicht; es formulierte das Gesetz später sogar so, dass sie ausdrücklich eingeschlossen wurden.
    McKusicks Forschungsarbeiten mit der Familie Lacks fielen in den Beginn einer neuen Ära der genetischen Forschung, in der die Idee der potenziellen Gefährdung von Patienten alles veränderte. Nachdem man nun in der Lage war, in einer Blutprobe oder sogar in einer einzigen Zelle bestimmte Gene zu identifizieren, bestand die Gefahr bei einer Blutentnahme nicht mehr nur in einer geringfügigen Infektion oder in den Schmerzen beim Einstich – nun ging es darum, dass genetische Informationen preisgegeben werden konnten. Es ging um eine Verletzung der Privatsphäre.
    Deborah traf nur einmal mit McKusick zusammen, nämlich als sie ins Hopkins fuhr, um sich Blut abnehmen zu lassen. Er schüttelte ihr die Hand und erklärte, Henrietta habe einen wichtigen Beitrag zur Wissenschaft geleistet. Dann überhäufte Deborah ihn mit Fragen: Warum war ihre Mutter erkrankt? Wie kam es, dass ein Teil von ihr noch lebte? Was hieß das? Was genau hatte Henrietta für die Wissenschaft getan? Und bedeuteten alle diese Blutuntersuchungen, dass Deborah in ebenso jungen Jahren sterben würde wie ihre Mutter?
    McKusick erklärte nicht, warum er Deborah Blut abnehmen ließ. Stattdessen erzählte er ihr, wie man Henriettas Zellen bei der Entwicklung des Polioimpfstoffes und in der genetischen Forschung verwendet hatte. Er sagte, sie seien mit den ersten Weltraummissionen mitgeflogen, und man habe sie bei Atombombentests verwendet. Deborah hörte das alles und stellte sich vor, wie ihre Mutter auf dem Mond war und von Bomben zerrissen wurde. Sie war entsetzt und musste sich immer wieder
fragen, ob die Teile ihrer Mutter, die man in der Forschung verwendete, etwa spüren konnten, was die Wissenschaftler ihnen antaten.
    Als sie McKusick bat, ihr die Sache mit den Zellen genauer zu erklären, gab er ihr ein von ihm selbst herausgegebenes Buch mit dem Titel Medical Genetics , das zu einem der wichtigsten Lehrbücher des Fachgebiets werden sollte. Er sagte, sie könne daraus alles erfahren, was sie wissen müsse, und dann signierte er es auf der Innenseite des Buchtitels. Unter seine Unterschrift schrieb er eine Telefonnummer und sagte ihr, dort könne sie anrufen und Termine für weitere Blutentnahmen vereinbaren. McKusick blätterte zur zweiten Seite der Einleitung. Dort, zwischen Diagrammen zur »krankheitsspezifischen Säuglingssterblichkeit« und einer Beschreibung des »homozygoten Zustands bei angeborenen Garrod’schen Stoffwechselstörungen«, befand sich das Foto von Henrietta mit den Händen in den Hüften. Er zeigte auf den Absatz, in dem sie erwähnt war:
    Nebenbei bemerkt: Wenn medizinische Genetiker die Zellen anstelle des ganzen Patienten untersuchen, steht ihnen ein nicht unerheblicher »Kassenbestand« an morphologischen, biochemischen und anderen zellbiologischen Informationen zur Verfügung, die zu einem nicht geringen Teil aus der Untersuchung der berühmten Zelllinie stammen, die von Zellen der auf dieser Seite abgebildeten Patientin Henrietta Lacks angelegt wurden.
    Das Buch war voller komplizierter Sätze. So hieß es dort beispielsweise über Henriettas Zellen: »Ihre atypische Histologie dürfte im Zusammenhang mit dem ungewöhnlich bösartigen Verhalten des Karzinoms stehen«, und da war auch die Rede von einem »Korrelat zur Einzigartigkeit des Tumors«.
    Schon eine Zeitschrift zu lesen kostete Deborah viel Zeit, weil
sie viele Begriffe im Lexikon nachschlagen musste. Jetzt saß sie in der Klinik, McKusicks Buch in den Händen, und versuchte nicht einmal, die Worte darin aufzunehmen. Sie konnte nur daran denken, dass sie dieses Foto ihrer Mutter noch nie gesehen hatte. Was ist mit ihr passiert, dass sie jetzt da drin steht? , fragte sie sich. Und woher hat er das Bild? Day schwor, er habe es weder McKusick noch einem von Henriettas Ärzten je gegeben; das Gleiche versicherten auch Deborahs Brüder. Day konnte sich nur denken, dass Howard Jones vielleicht Henrietta um ein Bild gebeten hatte, das dann in ihre Krankenakte gelangt war. Aber soweit Day wusste, hatte nie jemand um Erlaubnis gebeten, es veröffentlichen zu dürfen.
    McKusick starb 2008. Als ich einige Jahre zuvor mit ihm sprach, war er

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