Die Unsterblichkeit der Henrietta Lacks
kürzlich, nach 40 Jahren, von den Behörden abgebrochen worden war, und nun saß da Gardenias Schwager und erzählte, dass das Hopkins lebendige Teile von Henrietta besaß und dass Wissenschaftler überall an ihr Forschungen betrieben, ohne dass die Familie auch nur einen blassen Schimmer davon hatte. Es war, als würden alle diese entsetzlichen Geschichten, die sie schon über das Hopkins gehört hatte, plötzlich Wirklichkeit werden und ihr selbst widerfahren. Wenn sie an Henrietta forschen, ist es nur eine Frage der Zeit, bis sie auch zu Henriettas Kindern und vielleicht ihren Enkelkindern kommen , dachte sie.
Gardenias Schwager erzählte Bobbette, Henriettas Zellen hätten kürzlich Schlagzeilen gemacht, weil sie andere Kulturen verunreinigten und deshalb Probleme bereiteten. Aber Bobbette schüttelte immer nur den Kopf und sagte: »Wieso hat niemand ihren Angehörigen gesagt, dass ein Teil von ihr noch lebt?«
»Das wüsste ich auch gerne«, erwiderte er. Wie die meisten
Wissenschaftler, so hatte auch er nie darüber nachgedacht, ob die Frau hinter den HeLa-Zellen sie freiwillig abgegeben hatte. Bobbette entschuldigte sich und rannte nach Hause. Dort stürmte sie durch die Fliegengittertür in die Küche und rief Lawrence zu: »Ein Teil von deiner Mutter, der lebt!« Lawrence rief seinen Vater an und erzählte ihm, was Bobbette gehört hatte. Day wusste nicht, was er davon halten sollte. Henrietta lebt noch? , dachte er. Das war doch völliger Unsinn. Er hatte ihre Leiche bei der Trauerfeier in Clover mit eigenen Augen gesehen. Hatte man sie ausgegraben? Oder hatte man ihr vielleicht während dieser Obduktion etwas angetan?
Lawrence rief die Telefonzentrale des Hopkins an und sagte: »Ich rufe wegen meiner Mutter an, Henrietta Lacks – Sie haben da noch ein Stück von ihr, das lebt.« Als die Telefonistin in der Klinik keine Akte über eine Patientin namens Henrietta Lacks finden konnte, legte Lawrence auf. Wen er sonst noch hätte anrufen können, wusste er nicht.
Im Juni 1973, kurz nachdem Lawrence mit der Klinik telefoniert hatte, versammelte sich an der Yale University eine Gruppe von Wissenschaftlern um einen Tisch. Sie hielten den ersten internationalen Workshop zur Kartierung der menschlichen Gene ab und taten damit einen ersten Schritt in Richtung des Human-Genomprojekts. Das Gespräch drehte sich gerade um die Frage, wie man das Problem der HeLa-Verunreinigungen aus der Welt schaffen konnte, als jemand erklärte, wie man Ordnung in das Chaos bringen könne: Man müsse nur genetische Marker finden, die spezifisch für Henrietta waren, und mit ihrer Hilfe nachweisen, welche Zellen von ihr stammten und welche nicht. Das würde aber voraussetzen, dass man DNA-Proben von ihren engsten Angehörigen besaß – am besten nicht nur von ihren Kindern, sondern auch von ihrem Ehemann. Dann konnte man deren DNA mit der in den HeLa-Zellen
vergleichen und eine Landkarte von Henriettas Genen erstellen.
Zufällig saß an dem Tisch auch Victor McKusick, einer der Wissenschaftler, die Henriettas richtigen Namen veröffentlicht hatten. Er erklärte, da könne er helfen. Henriettas Mann und ihre Kinder, so fuhr er fort, seien immer noch Patienten am Hopkins, und sie ausfindig zu machen werde nicht allzu schwierig sein. Als Mitglied des medizinischen Personals hatte McKusick Zugang zu ihren Krankenakten und Kontaktdaten. Die Genetiker auf der Konferenz waren begeistert. Wenn sie DNA von Henriettas Kindern in die Hände bekamen, konnten sie nicht nur das Verunreinigungsproblem lösen, sondern auch ganz neue Untersuchungen an den HeLa-Zellen anstellen. McKusick erklärte sich einverstanden. Er wandte sich an Susan Hsu, eine seiner Postdocs, und sagte: »Machen Sie das, sobald Sie wieder in Baltimore sind.«
McKusick erteilte Hsu aber keine Anweisungen, wie sie den Mitgliedern der Familie Lacks die Forschungsarbeiten erklären sollte. Sie wusste nur, dass ihr Vorgesetzter ihr aufgetragen hatte, die Familie anzurufen.
»Er war wie der liebe Gott«, erzählte mir Hsu später. »Er war ein berühmter, ein ganz berühmter Mann, der die meisten anderen berühmten medizinischen Genetiker auf der ganzen Welt ausgebildet hatte. Und als Dr. McKusick gesagt hat, ›Sie fahren jetzt nach Baltimore und nehmen das Blut ab‹, habe ich es getan.«
Als Hsu von der Tagung nach Hause kam, rief sie Day an und fragte ihn, ob sie seinen Angehörigen Blut abnehmen könne. »Die ham gesagt, sie hätten meine Frau und sie wäre noch zum
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