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Die unterirdische Sonne

Die unterirdische Sonne

Titel: Die unterirdische Sonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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und fröstelte in ihrem Kleid. Ohne den Kopf zu bewegen, warf sie seinen Beinen und seinem blauen Stock heimlich Blicke zu. Aus einem seltsamen Grund beruhigte sie die aufrechte Nähe des Jungen, der behauptete, schon achtzehn zu sein und in Wahrheit vermutlich erst fünfzehn war.
    Sein Schweigen dagegen, sein wortloses Getue und die Art, wie er die anderen musterte, hielt Sophia für arrogant und gemein. Und wie er gestern Conrad ausgelacht hatte, der sich vor ihm und seinem Gepolter mit dem Stock so erschrocken hatte, dass er mit dem Stuhl umgekippt war, würde sie nicht vergessen. Dafür hatte Noah mindestens eine Ohrfeige verdient, und zwar eine saftige und in einem Moment, in dem er garantiert nicht damit rechnete.
    Seit einer Woche tat er so, als wäre er etwas Besseres. Das empfanden die anderen genauso wie Sophia, denn sie hatten in seiner Abwesenheit darüber gesprochen. Jedes Mal, wenn Noah auf dem Klo war, flüsterten sie einander zu, was sie über ihn dachten, und sie dachten fast alle dasselbe. Nur Leon meinte, der Neue erinnere ihn an Eike, und der sei einfach mit seinem Zorn nicht zurechtgekommen. Für Sophia war das keine Entschuldigung für Noahs Benehmen, ganz gleich, welche negativen Gefühle er mit sich herumschleppen mochte. Sie waren doch eine Gemeinschaft, dachte sie plötzlich wieder, sie hatten doch die Pflicht, sich gegenseitig an der Hand zu nehmen. Und Noah zeigte keine Nächstenliebe, nur Verachtung.
    Sie zwang sich, ihm bis zum Ende der Lüftungsprozedur keinen noch so kleinen Blick mehr zuzuwerfen. Eigentlich, überlegte sie, hatte sein nahes Dastehen sie gar nicht beruhigt, das hatte sie sich nur eingebildet. In Wahrheit war ihre Angst vor dem Mann an der Tür so riesig gewesen, dass sie es sogar für möglich gehalten hatte, Noah würde dem Mann mit dem Stock eins überziehen, falls dieser sich ihr nähern sollte. Diese Vorstellung kam ihr nun lächerlich vor.
    Noah, dachte Sophia, während die Eisentür wieder ins Schloss fiel, die schweren Schritte verklangen und alle sich umdrehten, versuchte – wie jeder hier im Raum – die Geister in seinem Herzen zu bannen. Nur deshalb gab er den unberechenbaren, lässigen Schweiger und fuchtelte mit seinem Gehstock durch die Gegend. Vermutlich wäre er niemals in der Lage, gegen irgendjemanden die Hand zu erheben, schon gar nicht gegen ein Monster wie den Mann mit den Schlüsseln.
    Sophia setzte sich an die rechte Schmalseite des Tisches und dachte an Eike, der auch immer ein Held sein wollte. Und dann …
    Dann sah sie Eike vor sich, wie er plötzlich losgesprungen war und auf Conrad eingetrommelt hatte. So etwas hätte sie ihm nie zugetraut.
    Sie hob den Kopf, und da stand er.
    Er stand direkt neben ihr, wie vorher, als sie auf dem Boden gekniet hatte.
    »Warum magst du mich nicht?«, fragte Noah.
    Sie hatte die Augen geschlossen gehabt und ihn auch nicht kommen hören. Normalerweise war das Geräusch des Stocks trotz der Gummispitze und der Teppiche nicht zu überhören.
    »Wieso redest du nicht mit mir?«, fragte er.
    Conrad und Leon sahen sie an. Maren war im Bad verschwunden. Sophia stützte den Kopf in die Hände, ratlos, mürrisch.
    »Ich rede doch mit dir«, sagte sie.
    »Tust du nicht.«
    »Bist du taub?«
    »Und wieso magst du mich nicht?«
    »Lass mich in Ruhe.«
    »Hast du Angst vor mir?«
    Sie richtete sich auf. Sie wollte Nein sagen. Doch dann schüttelte sie bloß den Kopf, verzog den Mund und verschränkte die Arme. Kurioserweise verschränkten auch Conrad und Leon die Arme vor der Brust, als wollten sie damit etwas demonstrieren. Es war vielleicht ein Reflex, der Noah zum Lachen brachte.
    »Hör auf«, sagte Sophia laut.
    Noah klopfte mit dem Stock auf den Boden und verstummte. Leon dachte sofort an ein Kommando und dass der Junge vielleicht einem unheimlichen, nur ihm bekannten Gesetz gehorchte. »Voll hart«, sagte er unabsichtlich.
    Noah drehte sich zu ihm um. »Was ist voll hart?«
    »Nichts.«
    »Was denn?«
    »Hör auf, dauernd auf den Boden zu klopfen«, sagte Conrad.
    »Wie heißt du?«
    »Du weißt nicht mehr, wie ich heiße?«
    »Nein.«
    »Ist auch nicht wichtig«, sagte Conrad.
    »Ich hab alle eure Namen vergessen.« Noah sah zur geschlossenen Badezimmertür, hinter der kein Geräusch zu hören war. »Was macht die da drin so lang?«
    Sophia stand auf. »Geht dich das was an, Noah?«
    »Mich geht alles was an.«
    Die beiden Jungen ließen die Arme sinken und wirkten von der Situation überfordert. Fast alles, was

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