Die Untoten von Veridon: Roman (German Edition)
das niemand offen zugeben wollte. Erben waren verschwunden, Meuchelmörder waren angeheuert worden, um Vergeltung zu üben. Einer der Gründe, warum die Ordnungshüter zur Bewachung der Familiensitze abkommandiert worden waren, bestand darin, dass jede Familie damit rechnete, ihre Gegner würden die Ausgangssperre zur Verschleierung des endgültigen Todesstoßes benutzen. Und vielleicht trug sich in diesem Augenblick auch tatsächlich genau das zu. Mehr als ein Ratsmitglied rief nach Dienern, um Eilbotschaften in die Stadt zu entsenden. Vermutlich wurden Mordanschläge abbestellt oder zumindest aufgeschoben. Hoffentlich würden wir aufhören, einander umzubringen, wenigstens einen Tag lang.
»Mir scheint«, ergriff Angela leise das Wort, nachdem alle verstummt waren, »dass wir zum Narren gehalten werden. Cranich oder Maker oder wie er auch heißen mag … Ezekiel spielt uns gegeneinander aus. Viel ist ja nicht notwendig, damit wir uns gegenseitig an die Gurgel gehen, oder?«
»Anscheinend nicht«, meinte ich. »Und du hattest Bedenken, mich in eure erlauchte Gesellschaft zu lassen. Tatsächlich scheint es mir kaum wert, darüber zu diskutieren, ob man einen weiteren Mörder in diese Ränge aufnimmt oder nicht.«
»Unnötig, Mr. Burn«, sagte Nathan. »Aber es spielt keine Rolle. Wir haben Cranichs Plan durchschaut und stehen Seite an Seite. Er wollte uns dazu bringen, einander umzubringen. Stattdessen hat er uns geeint. Ein Glück, dass Sie seinen Klauen entkommen sind, Ratsvertreter.«
Ich brauchte einen Moment, um zu begreifen, dass er mich meinte. Ich musste über den Titel schmunzeln. Er fühlte sich unbehaglich an.
»Ich würde nicht behaupten, dass ich ihm entkommen bin, Sir«, gab ich zurück. »Er hatte mich immer wieder in der Hand und hat mich immer wieder gehen lassen. Ich denke, er hat gehofft, mir den Tod des Patriarchen anhängen zu können. Und beinah wäre ihm das auch gelungen. Letztlich konnten wir seine Kontrolle über die Mechagentoten lang genug unterbrechen, um zu entwischen. War knapp.«
Wilson kam um den Rand meines Stuhls herum und räusperte sich. Als gute Aristokraten, die den Anansi für meinen Leibdiener hielten, ignorierten ihn die anderen Ratsvertreter.
»Inzwischen spielt es kaum noch eine Rolle, wie Sie es gemacht haben, junger Burn. Aber ich denke, sobald all das vorüber ist, werden Sie uns die Geschichte in allen Einzelheiten erzählen. Vorher aber müssen wir diesen Schurken zur Strecke bringen und ihm eine gehörige Lehre erteilen.« Nathan nahm seine Brille ab und putzte sie mit dem Rand eines Tuchs, das von seinem Gürtel hing, anscheinend zu eben diesem Zweck. »Ich vermute, Sie wollen diese Hetzjagd anführen, richtig?«
»Jacob«, sagte Wilson. Bevor ich mich ihm zuwenden konnte, trat Plumer vor.
»Oh, ich denke, das sollten die Ordnungshüter übernehmen. In Form einer formellen Suchtruppe, einer Art öffentlicher Stadtdurchkämmung oder dergleichen. Ich denke, das könnten wir genehmigen. Finden Sie nicht, Nathan?«
»Jacob«, zischte Wilson mir ins Ohr.
»Tatsächlich finde ich, wir sollten ein großes Spektakel daraus machen …«, begann Nathan.
»Um der Götter willen, Jacob!« Wilson packte mich am Ellbogen und drehte mich herum. Es wurde nach Luft gerungen – zumindest von mir. Wilson war stark. »Was, wenn wir seine Kontrolle nicht unterbrochen haben, wie du gesagt hast? Wir haben nie verstanden, wie das funktioniert.«
»Wir verstehen das meiste nicht, was er getan hat, Wilson. Warum?«
»Was, wenn er uns hat gehen lassen? Was, wenn er sie zurückgehalten hat, gerade lang genug, um es gut aussehen zu lassen, als wir abgehauen sind? Genug, um unsere Flucht echt wirken zu lassen.«
»Wieso um alles in der Welt sollte er das tun?«, fragte ich.
»Damit wir hierher kommen können. Damit wir seinen Plan dem Rat präsentieren können. Damit wir sein kleines Projekt vereiteln können.«
»Tja, ich muss zugeben, das wäre wirklich verdammt gerissen von ihm. Denn genau das hat er erreicht. Schau«, sagte ich und schwenkte einen Arm durch die Kammer. »Der Rat ist versammelt, es toben keine Mechagentoten durch den Saal, und wir bringen einander nicht um. Genau, wie er es geplant hat.«
»Jacob«, gab Wilson zurück. »Die Krähen. Sie haben uns durchgelassen.«
»Vielleicht … vielleicht hat er aber auch nicht so viel Kontrolle über diese Dinge, wie wir dachten.« Wilson starrte mich an. »Vielleicht ging er davon aus, dass man mir nicht glauben
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